Gewisse Eigenheiten pflegt wohl ein jedes Volk und wer räumlich, sprachlich und kulturell über Jahrhunderte so eigenständig existierte wie die Japaner, entwickelt konsequenterweise seine besondere Inselmentalität. Zu verurteilen ist dies nicht, denn wer wollte sich das anmaßen? In meiner alten Heimat Deutschland zum Beispiel verwirrt die um internationales Lob buhlende Regierung zur Zeit nicht nur ein Großteil ihrer eigenen Bevölkerung, sondern auch einige Nachbarn mit ihrer willkürlichen und der Sicherheit Europas nicht zuträglichen Immigrationspolitik und ihrer anmaßenden Weltenretter-Attitüde (besonders im sog. „Klimaschutz“) – ist dies nun eher zu begrüßen oder ist es nur der Preis/eine Folge einst misslungener Weltenherrscherambitionen? Die Japaner scheiterten an ihren Versuchen, ganz Asien zu beherrschen, doch anders als wieder nach Größe strebende Deutsche bleiben sie seit ihrem militärischen Zusammenbruch nun lieber unter sich, versuchen ganz pragmatisch ihre zahlreichen Probleme zu lösen und dabei doch als ein eigenständiges, modernes, hochzivilisiertes Volk mit ganz speziellen Gewohnheiten, Regeln und Traditionen zu existieren. Japaner sind zwar im Rahmen ihres besonderen Stils grundsätzlich offen zu Ausländern (sie zeigen sich sehr positiv gegenüber den Deutschen, von denen sie sich bei bei Ausarbeitung ihrer Verfassung zur Zeit der Meiji-Reform 1868-1890 helfen ließen), aber Freundschaftsbezeugungen à la Europa/Amerika – Hello my friend; Bussi, Bussi; Küss die Hand – keine Chance, dafür angenehme höfliche Distanz. Sie halten aus traditionellen Gründen und japanischem Stolz, den nur verstehen kann, wer auch deren Hochkultur zu schätzen weiß, japanische Belange für wichtiger, als die von Einwanderern, doch sie sind jederzeit zur Unterstützung bereit. Professionelle Hilfen bei Katastrophen vor Ort werden unverzüglich und ohne Knauserei weltweit ausgesandt, doch z.B. hunderttausenden muslimischen oder afrikanischen Jungmännern Einlass nach Japan und Zugang zu seinem Sozial- und Gesundheitssystem zu gewähren, wie das in Deutschland seit 2015 eine Zeit lang relativ problemlos möglich war, fiele wohl keinem der japanischen Regierungschefs ein.
Es existieren hier einige, auch linguistische Stufen der persönlichen Bekanntschaft – der Kollege (Dorio/同僚) ist entfernter als ein Bekannter (Shiri’ai/) und als Tomodachi/友達 werden wohl nur wirkliche Freunde bezeichnet. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern erscheint hier recht entspannt und offen, wie es einem modernen Volke gebührt, das die Familie sehr achtet, doch religiöses und kulturelles Erbe nicht mehr existenziell ernst nimmt. Hier existiert auch eine riesige Grauzone an Exaltiertheit und Beziehungsdramen – doch vielleicht ist eben dies der Preis der Offenheit und wer, der nach der euphorisierenden Spannung einer Liebesbeziehung dürstet, verurteilte dies? Im Vergleich zum modernen Amerika oder Europa erscheint hier das Verhältnis zwischen Mann und Frau doch eher etwas antiquiert dargestellt. Ein Beispiel aus einer gerade laufenden Werbekampagne für eine neu entwickelte, hervorragende und robuste Brille mag das verdeutlichen – bei der Präsentation liest der Mann ein Buch und staunt, aus welch unterschiedlicher Entfernung er den Text deutlich zu lesen vermag, während die Frau ihre Fingernägel verschönert und sich freut, wie deutlich sie den bunten Glitzer vor sich sieht. In der Realität allerdings sind die japanischen Frauen legendär für ihre Hingabe und Zuverlässigkeit und ich kenne niemanden, der nicht liebevoll von der japanischen Dame seines Herzens geschwärmt hätte.
Die Japaner reden erfahrungsgemäß untereinander ungemein differenzierter als mit jemandem, der von außerhalb kommt, was natürlich auch mit den Feinheiten der Sprachbeherrschung zu tun hat. Ein paar Fremdwörter gehören übrigens inzwischen auch zum japanischen Wortschatz und lustigerweise bezeichnen sie minderwertige, schlecht entlohnte Jobs mit einem deutschen Wort als Arbeit/ アルバイト 😉
Besondere Linien ihrer so fein ziselierten Ausformung von Kultur und Ästhetik entwickelten die Japaner seit der Heian-Epoche (平安時代 794 – 1185) mit schier unzähligen Ritualen, von der Morgentoilette über die Teezeremonie bis zum nächtlichen Konzert. Zur Bewältigung ihres besonderen Lebensstils bedienen sie sich nicht nur ausgefeilter Ästhetik und nutzen für nahezu alle erdenklichen Aspekte des Lebens gar putzige Hilfsmittelchen, wie z.B. Mimikaki (verzierte, besonders geformte Holzstäbchen zum Kratzen im Ohr, s.u. 😉 ), sondern sie unterwerfen sich auch einer Vielzahl von Regulierungen. Hinweisschilder, wie dieses oder jenes zu handhaben sei – wer Zutritt erhalte, wie die Toilette funktioniere, der Müll, welche Flaschen/Büchsen wo zu entsorgen seien, wo es entlang gehe und was nicht gestattet sei oder einfach Obacht zu geben auf Papierverbrauch, Giftschlangen oder Greifvögel – gibt es also noch häufiger als im regelverliebten Deutschland (und ein hilfreicher Beamter, der einem höflich aber bestimmt den Weg weist, findet sich hier überall). Als Außenstehender könnte man sich nun fragen, ob denn der Alltag von ständigen Regelübertretungen geprägt sei, wenn es so vieler Hinweise bedarf – doch nach meinen Erfahrungen geschieht dies nur bisweilen und die Japaner fallen ganz selten aus ihrer Rolle. Saufende, grölende Jungmännerhorden, offen agierende Drogendealer, Taschendiebe u.a. diverse Klein- und Gewaltkriminalität; Müll, Hundekot und Erbrochenes auf Bürgersteigen – undenkbar in japanischen Wohnorten – in den (allermeisten) öffentlichen Badeeinrichtungen (Onsen) werden weder Verhaltensauffällige oder Alkoholisierte, noch Tätowierte akzeptiert. Im Vergleich zum heruntergekommenen Berliner Friedrichshain, wo ich gut 20 Jahre lebte, ist jeder japanische Wohnort ein bezauberndes Muster an Reinlichkeit, Ordnung und exzellenter Lebensqualität.
Von der japanischen Kunst der (Selbst-) Darstellung ist im vorigen Blogpost („Theater …“) schon erzählt worden. Hier noch ein paar ergänzende Bildfolgen zu beiden Berichten.
3 Kommentare zu „Japan – über gewisse Eigenheiten“