Exkurs Georgien

Neben den Basken am Atlantik können die Georgier am Schwarzen Meer als die ältesten Europäer gelten (ich schlage hier der Einfachheit und kulturellen Nähe halber – Georgien ist neben Armenien eines der ältesten christlichen Länder – das Land Europa zu, wenn es auch geografisch umstritten ist), die schon weitaus länger als später eingewanderte Völker, wie wir Indogermanen, in ihrer Heimat leben. Ihre Ländereien waren offenbar schon unter den frühen Hominiden beliebt, wie uns uralte Fossilien des Homo erectus ( 1,8 Mio Jahre, zählen zu den ältesten außerhalb Afrikas!) anzeigen, die hier gefunden wurden – im recht gut sortierten archäologischen Museum von Vani mit seinen nahe gelegenen Ausgrabungsstätten lassen sich zu ihrer langen Siedlungsgeschichte interessante Artefakte betrachten. Georgier bewohnen seit vorbiblischer Epoche klimatisch begünstigt am Ostufer des Schwarzen Meeres gelegene, vom kleinen und großen Kaukasus begrenzte Siedlungsplätze und pflegen in ihren felsig faszinierend fruchtbaren Landschaften ihre Eigenheiten. So beherrschen sie von anderen Sprachen isolierte, kaukasische Idiome, die abseits ihres Landes niemand versteht (so schwierig wie Baskisch oder Japanisch), pflegen polyphonen Gesang, einen starken christlichen Glauben und lieben genussreiche Tafeln mit viel Fleisch, Käse und Wein.

Ihre antike Landschaft Kolchis in Transkaukasien erscheint historisch als hellenisches Kolonialgebiet sowie sagenhaftes Goldland in der griechischen Mythologie (Argonauten, Goldenes Vlies) und ist Heimat der literarischen Figur Medea, die mit Zauberei, Liebe, Verrat, Bruder-, Königs- und Kindesmord viele Tragödien stimulierte. Wenn man von Ausnahmen wie Stalin absieht, treten Georgier allerdings weniger als Tragiker in Erscheinung, vielmehr als sanges- und trinkfreudige Menschen, die alte christliche Traditionen und noch viel ältere Kulte um Dionysos und Wein pflegen. Ihr Land gilt als eine der Ursprungsnationen von Weinkultur, gekelterten Traubensaft in vergrabenen Tongefäßen bis ins nächste Jahr ruhen und sich dabei in süffigen Rebensaft wandeln zu lassen – also etwas entspannter, wenn der Weinberg einmal Reben trägt, als die vermutlich aus dem südlichen Mesopotamien stammende Bierkultur, die ja erhebliche Arbeitsschritte und Getreideanbau voraussetzt. Ein Mythos erzählt uns, dass Gott einst die Völker zusammenrief, um ihre Länder zu verteilen, doch die Georgier gerade wieder ein ausgelassenes Fest feierten und diesen Termin verpassten; Gott aber zürnte ihnen nicht und war von georgischer Fröhlichkeit so angetan, dass er ihnen die schönsten Landschaften schenkte, die er eigentlich für sich selbst reserviert hatte. Tatsächlich wird Georgien nicht nur von seinen Einwohnern, sondern auch von vielen Besuchern als Himmel auf Erden gepriesen und Fahrten übers Land, umrahmt von idyllischen Ausblicken auf kleinen und großen Kaukasus, umtrotted auf wenig befahrenen Straßen von Kühen sowie begleitenden Hunden entlang hier und da erholsamer Heißwasser-Schwefelquellen, sind faszinierend. Georgien erweckte schon in der Antike, auch aufgrund seiner Kupfer- und Goldvorkommen, Begehrlichkeiten und kam daher bis ins späte 20. Jahrhundert immer wieder unter den Einfluss verschiedener Plünderer und Fremdherrscher (Hellenen, Parther, Sasaniden, Byzantiner, Türken, Perser, Mongolen, Russen, Sowjets).

Gerade die benachbarten Russen lieben dieses Land, das Anfang des 19. Jahrhunderts im Widerstreit gegen Osmanen und Perser unter bis heute sichtbar russische Dominanz geriet (Verständigung in Russisch ist hier weitaus einfacher als z.B. Englisch). Wie die Freihandelsabkommen mit E.U. und China anzeigen, streben georgische Politiker eine eurasische Brückenfunktion des Landes an; Schwarzmeeranbindung und ihre Hauptstadt Tbilisi seien hierbei wichtige Stationen der von China forcierten Neuen Seidenstraße (Tbilisi Belt and Road Forum). Was sie nun mit E.U. verbinde, auch wenn nicht wenige sich prowestlich zeigen, erscheint mir abseits ökonomischer Interessen rätselhaft und der Fahrer, der uns so humorvoll wie unterhaltsam übers Land fuhr, lachte nur zu Fragen von Elektromobilität oder klima-ökologistischer Transformation. Wenn du vergleichst wie sie reden und handeln, meint er, dann zeigt sich, dass sie vor allem profitable CO2-Geschäfte anstreben – der European Green Deal, der maßgeblich von E.U.-Kommission mit ihrer dubiosen Chefin Von der Leyen vorangetrieben wird, habe mit georgischer Lebenswirklichkeit und ihren Interessen nichts zu tun.

Viele Georgier, mit denen wir sprachen, bedauern auch den vom damaligen Präsidenten Saakaschwili ihres Erachtens nach mutwillig vom Zaun gebrochenen Krieg gegen Russland um die abtrünnigen Gebiete Abchasien, Südossetien – der nicht nur hunderte Soldaten das Leben gekostet hatte, sondern auch eine Lösung um jene Gebiete weit in die Ferne rückte – und hoffen auf eine friedvolle Zukunft mit ihren Nachbarn. Saakaschwili, der nach jahrelanger Flucht und Asyl, U.S.A.-Aufenthalt sowie politischer Tätigkeit in Ukraine inzwischen in Georgien verurteilt wurde, hatte dazumal schon stärkere Unterstützung durch NATO angestrebt, was ihm allerdings, anders als Ukraine heute, verwehrt blieb; Umstände, die von späteren Historikern, auch in Bezug auf verfehlte Russlandpolitik, hoffentlich stärker beleuchtet werden. So wie georgische Musik für ihre Polyphonie bekannt wurde, sollte auch die georgische Gesellschaft – und zwar noch weitaus mehr als die zerrissene E.U. und das taumelnde Deutschland – wie ein teils widersprüchlicher, disharmonischer und vielstimmiger Chor betrachtet werden.

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