Ist diese Stadt ein heiliger Ort oder vielleicht doch nur eine vorderasiatische Siedlung, die im Lauf ihrer Geschichte an einer Schnittstelle historischer Umbrüche mit Symbolik völlig überladen wurde? Manche bekommen feucht verklärte Augen zu den Klängen von Yerushalayim shel Zahav und andere wiederum Schaum vor dem Mund, wenn ihnen jemand sagt, dass diese Stadt nicht nur Regierung und Parlament Israels beherbergt sowie Amtssitz seines Staatspräsidenten, sondern auch Hauptstadt dieses Judenstaates ist. Vor allem durch die Verbreitung der christlichen Bibel ist Jerusalem in vielen Gegenden der Welt bekannt, auch wenn die meisten, welche diesen Namen kennen, kaum jemals einen Fuß in diese Stadt setzten oder einen ihrer Einwohner je zu Gesicht bekamen. Ihre Wertschätzung steigt manchmal mit zunehmender Unkenntnis über diesen Ort, so wie die Lösungsvorschläge für die politischen Probleme Jerusalems je abgehobener werden, umso entfernter die Konferenzen dazu stattfinden. In einem Zeitalter der Skepsis und der Fehlinformation, des Nihilismus wie des Atheismus, in einer Renaissance von Mystikern und Fundamentalisten eignet sich ein solcher Ort, an dem sich ein Teil der Welt mit pathologischem Genuss abzuarbeiten scheint, hervorragend als Wetzstein und als Glaubensfels. Vernachlässigt man den historischen Wert, hat Jerusalem heute vor allem etwas Besonderes für Liebende wie Hassende, für Esoteriker oder Gläubige, für Verrückte und Militante. Der Symbolgehalt vieler Plätze in der Stadt ist so hoch wie der Anteil ihrer mental Verwirrten und Journalisten, die sich dort aufhalten. Die Faszination vieler Leute in Bezug auf diese Stadt wird hier zuerst mithilfe ihrer Historie begründet – werfen wir also einen Blick in ihre Anfänge zurück und kommen bis zur Gegenwart.
Die Voraussetzungen zur Gründung eines Siedlungsortes sind zuerst von praktischen Erwägungen bestimmt – Wasservorkommen, die Möglichkeit zur regelmäßigen Nahrungsbeschaffung, sowie Gesetze, Verteidigungsmöglichkeiten und friedfertige oder wenigstens verhandlungswillige Nachbarn sind wichtige Voraussetzungen, um einen Ort hospitabel zu machen. Jerusalem liegt nicht an den wichtigen Handels- und Kommunikationswegen der Antike (Via Maris, Königsstraße, Weihrauchstraße), Bodenschätze findet man dort nicht und landwirtschaftliche Nutzung ist in seinem Berggebiet nur durch Terassenanbau eingeschränkt möglich. Dieser Ort liegt allerdings niedriger als die umliegenden Hebron Hills und Bethel Hills, die sich zwischen dem antiken Mittelmeerhafen Jaffa und einer Oase in Jericho, mit Anschluss an die Handelsrouten, befinden. Jerusalem ist somit strategisch günstig entlang der Wasserscheide zwischen dem judäischen Tiefland und der Jordan-Senke gelegen, in einem flachen Bassin inmitten Bergkämmen eingebettet und durch Täler geteilt, die einen Abfluss zum Toten Meer hin eröffnen; der Weg über Jerusalem bietet somit Durchreisenden eine bequemere Passage durch das judäische Bergland. Eine Quelle (Gihon) versorgte den Ort und war somit die wichtigste notwendige Voraussetzung zur Niederlassung. Diese Quelle sprudelt seit langem nicht mehr und befindet sich heute eingebaut im Siloah-Village südöstlich der Altstadt im Kidron-Tal. Man hat an dieser uralten Wasserstelle wenigstens 3 verschiedene Systeme aus früheren Zeiten identifiziert, das älteste vermutlich über 3000 Jahre alt, die halfen das Wasser umzuleiten oder wenigstens einen gefahrlosen Zugang dazu zu ermöglichen. Einen Schacht, durch den man von innerhalb der Stadt-Befestigungen zur Quelle gelangt, ein Grabensystem zur Umleitung und zur Bewässerung im Kidron und einen durch den Felsen geschlagenen Tunnel, der das Wasser durch das Gestein unter der Stadt hindurch zu einem Pool leitete. Diesem Tunnel – ein architektonisches Meisterwerk mit dem richtigen Neigungsgefälle von zwei entgegengesetzten Seiten zueinander vorwärtsgetrieben – liegen Arbeiten aus der Zeit König Hiskias (8. Jh. v.Chr.; Siloah-Inschrift) zugrunde, wie uns die Bibel berichtet und durch Untersuchungen (C14, Tropfstein) bestätigt wurden. Die Stelle, an der sich die beiden Arbeitstrupps im Felsen trafen, wurde mit einer eingemeißelt althebräischen Inschrift gekennzeichnet, die von Kindern 1880 beim Spielen gefunden wurde. Leider kam es so, wie es manchmal endet, wenn Dummköpfe Geld wittern: Ein türkischer Kaufmann kam auf die dusselige Idee diese Inschrift herauszumeißeln, um sie zu verkaufen – die Inschrift wurde dabei zerbrochen und schließlich von den osmanischen Behörden abtransportiert. Das mehr oder weniger restaurierte Original befindet sich heute im Archäologischen Museum in Istanbul, doch originalgetreue Kopien davon lassen sich im Israelmuseum sowie auch im ursprünglichen Tunnel selbst bestaunen.
Der an jener Gihon-Quelle gelegene besiedelte Hügel ist klein, ca. 3 Hektar, und befindet sich heute südöstlich außerhalb der Jerusalemer Altstadt. Dass dieser Platz schon seit wenigstens der frühen Bronzezeit (32. – 23.Jh.v.Chr.) besiedelt war, zeigen Gräber und Keramikfunde, sowie die Überreste einer Stadtmauer aus dem 18.Jh.v.Chr.; einige Töpferfunde gehen zurück ins Chalkolithicum (ca. 4,5 JT. v.Chr. – 3,5 JT. v.Chr.). Nun war diese Siedlung natürlich eine von mehreren, die entlang jener Wasserscheide errichtet wurden. Diese so genannte „City of David“ erstreckt sich wie eine Zunge auf einem Hügel, der im Osten vom Kidron-Tal und im Westen vom Zentrums-Tal, oder Tyropoeon, das sich im Süden mit dem Hinnom-Tal trifft, begrenzt wird. Gegen Norden steigen, nur von einem schmalen Sattel (Ophel) begrenzt, die Berge an und machen eine Befestigung und Verteidigung schwierig – diese Seite bildete sicher für die Siedler eine Herausforderung und Gefahr und die Geschichte späterer Eroberungen zeigt, dass Angreifer häufig die Nordseite zur Überwindung der Stadtmauern nutzten. Die Siedlungsgeschichte Jerusalems hat noch offene Fragen, gerade was die Bauten aus der Zeit Davids und Salomos betrifft. Die Fachleute streiten darüber, ob sich Jerusalem in der Ersten Tempel-Periode über einen, oder zwei Hügel erstreckte – vergessen Sie im Übrigen, im heutigen Jerusalem eine Idee zu antiken Ausmaßen der Stadt zu bekommen, dazu ist alles zu viel bebaut und besiedelt, unmöglich ohne Modelle ein Idee des antiken Jerusalem zu erlangen. Einen gewissen Rahmen der antiken Ausdehnung zeigen uns die Grabfunde seit der Bronzezeit an. Diese befinden sich am Osthang des Kidron, westlich im Hinnom und nördlich des Damaskus-Tores. Weitere Gräber befinden sich innerhalb der heutigen Altstadt an Plätzen die außerhalb der alten Stadtmauern lagen. Es war im Übrigen das Privileg der Könige bis in die Zeit König Hiskias innerhalb der Stadt begraben zu werden. Wo diese Grabstätten sich befanden ist allerdings unbekannt; was heute als Grab Davids präsentiert wird, findet sich innerhalb eines Steinbruchs aus römischer Zeit (2. Jh.). Raimund Weill war Anfang des 20. Jahrhunderts im Auftrag Baron Rothschilds unterwegs, um in der David-Stadt nach den Gräbern der Könige zu suchen. Er war zwar erfolglos, aber erfindungsreich, denn er behauptete einfach, das von ihm gefundene Grab, das sich südlich des armenischen Viertel außerhalb der Altstadt am Mount Zion befindet, sei dasjenige von König David und einmal akzeptiert hält sich ein Mythos lange.
Die Geschichte Jerusalems lässt sich grob in folgende Perioden einteilen, wobei manch angegebene Zeiten mit Fragezeichen gedacht werden sollten …
Erste Tempel Periode 11. Jh. v.Chr. – 586 v.Chr.
Zweite Tempel Periode 515 v.Chr. – 70 n.Chr.
Hellenistische Periode 301 v.Chr. – 163 v.Chr.
Hasmonäische Periode 163 v.Chr. – 63 v.Chr.
Römische Periode 63 v.Chr. – 334
Byzantinische Periode 334 – 638
Frühe Muslimische Periode 638 – 1099
Kreuzritter Periode 1099 – 1187
Späte Muslimische Periode 1187 – 1917
Britische Periode 1917 – 1948
Israel ab 1948
Vereintes Jerusalem ab 1967
Der Name Jerusalem (yerushala’jim), vermutlich aus den beiden westsemitischen Wurzeln yrw und slm gebildet, hat mit dem hebräischen Wort für Frieden shalom nichts zu tun, selbst wenn Jerusalem von euphorischen Leuten, die auch die UNO für eine Versammlung von friedenswilligen Staaten halten, gern als Stadt des Friedens bezeichnet wird. Namensgeber war wohl eher eine lokale Gottheit namens salem, die an ihrem auserwählten Platz verehrt wurde. Das ist nicht so ungewöhnlich; im Alten Orient ist Gott immer derjenige, der die Kultplätze wählt und die Herrscher bestimmt. In der Bibel finden wir z.B. den Namen jeruel, der bedeutet: (Gründungs-) Platz den der Gott el bestimmt hat. Der Name Jerusalem taucht in der Tora (Pentateuch), dem Fundament der jüdischen Bibel, sowenig auf, wie er im Koran erscheint und man sollte annehmen, dass die jeweiligen Verfasser Jerusalem vor der Zeit König Davids nicht unbedingt als einen bedeutenden Ort angesehen hätten. Es gibt aber zumindest aus älteren Zeiten ein paar Indizien für die Existenz eines an diesen Namen erinnernden Ortes. In Texten aus Ebla, eines Stadtstaates in Nordsyrien, finden wir aus dem 3. JT.v.Chr. neben anderen bekannten Ortsnamen aus Palästina, wie z.B. Hazor, Lachish, Megiddo, Ashdod, den (Gottes-) Namen salim. In Ächtungstexten aus Ägypten, die auf Tongefäßen aus dem Ende des 3. JT., Anfang des 2. JT. datieren, taucht der Name rushalimum auf. Diese Tongefäße wurden in einer Zeremonie zertrümmert, um den darauf erwähnten Namensträger zu schwächen und zu vernichten. Ein in manchen Teilen der Welt auch heute noch ausgeübtes Verfahren der Sympathetischen Magie. In einer auf Akkadisch, der damaligen Lingua Franka des Vorderen Orients, verfassten Korrespondenz taucht bei den ägyptischen El-Amarna Briefen aus dem 14./13. Jh.v.Chr. der Name mat-urusalim auf; das Vorderglied dieses Wortkonstrukts (matum) bedeutet soviel wie Land, Gebiet, Territorium, Region oder auch Einwohnerschaft. Ägypten war damals die über das Gebiet Palästina vorherrschende Macht und ein Herrscher des Territoriums urusalim mit dem (hurritischen?) Namen arad-hipa bat um Hilfe oder er versuchte seinen Konkurrenten oder Herausforderern bei der Großmacht zuvorzukommen. In der Tora lesen wir: „Und Melchisedek der König (von) shalem brachte Brot und Wein heraus; er war Priester des Höchsten Gottes.“ Dieser König kam also herbei, um den späteren Stammvater Abraham zu grüßen und zu segnen. Wo der legendäre Abraham war, wen er traf und ob er oder Melchisedek überhaupt existierten, kann realiter natürlich niemand wissen. In der Bibel lässt Gott den Propheten Ezechiel, wie zur Bestätigung dass die Stadt keine israelitische Gründung war, den kanaanitischen Charakter der Stadt Jerusalems betonen, denn er bezeichnet die Eltern Jerusalems als Amoriter und Hethiter – zwei andere Völker, semitisch und indoeuropäisch, der Levante. Den letzten pre-israelitischen Herrscher von Jebus, dem späteren Jerusalem, finden wir in der Bibel mit dem Namen Araunah, wahrscheinlich indoeuropäischer Herkunft, von dem David nach seiner Eroberung von Jebus angeblich den Platz einer Getreidetenne kauft, um so die Stelle für den späteren Tempel zu bestimmen. Und er selbst lässt dort erstmal seinen Königspalast errichten – da es ringsum unter den Israeliten offenbar keine Fachleute und gutes Material gibt, geschieht dies mithilfe von geliefertem Zedernholz sowie Zimmerleuten und Steinmetzen aus Tyros. Diese Stätte in der Gegend der Jebusiter wird nun als Burg Zion und nach ihrer Eroberung auch als „Stadt Davids“ bezeichnet und der neue König hat damit sein persönliches, neutrales Kapital zwischen den israelitischen Stämmen Juda und Benjamin. Die Wahl dieses Ortes erscheint also als eine politische Entscheidung eines sich etablierenden Neulings auf dem Thron. Dass David als Eroberer den Platz für den späteren Tempel von seinem unterlegenen Gegner kauft, hat sicher nur symbolischen Charakter, denn er wird sonst nirgends als ein Herrscher vorgestellt, der durch Handel Besitz erwirbt – wenn man von seinen Ehearrangements mal absieht. Eins unterscheidet nämlich die Könige der Bibel häufig von Propheten: sie erscheinen moralisch fehlerhaft und haben große charakterliche Schwächen.
Dass der Platz jener Tenne an erhöhter Stelle liegt, hat für die Getreideverarbeitung praktische Vorteile und die religiöse Beladung eines solchen Platzes ist für Menschen mit halbnomadischer Lebensweise, die sich seit dem Neolithikum in dieser Gegend niederließen, nicht ungewöhnlich. Die späteren Traditionen der 3 wichtigsten Religionen in Jerusalem haben diese Bergspitze mit jeweils eigenen Varianten für sich okkupiert. Das Judentum reklamiert die Opferung Isaaks, das Christentum die Bergpredigt und der Islam die Himmelfahrt Muhammads an diesem Platz für sich. Verschiedene Archäologen erkennen in der ausgehöhlten Bergspitze ein altes Schachtgrab, wie man sie auch an den benachbarten Hängen findet. Dass an diesem Platz Salomons Tempel errichtet wurde ist durchaus möglich und dass die Felskuppe, der höchste Punkt des Berges, der jetzt vom Felsendom umschlossen wird, mit dem Standort des Ersten und Zweiten Tempels übereinstimmt, ist ebenso möglich. Die aus dieser Zeit (Eisenzeit II, ca. 1000 v.Chr. – 800 v.Chr.) erforschten Neohethitischen, Phönizischen und Aramäischen Königsstädte zeigen die gleiche Aufteilung einer Stadt mit einer Akropolis. Tempel- oder Palastbauten aus der Zeit Davids oder Salomos sind bei bisherigen Ausgrabungen nicht gefunden worden, was aber nicht verwunderlich ist, denn es ist momentan unmöglich, auf dem Areal des Felsendoms oder im benachbarten arabischen Viertel nach diesen Relikten zu graben und arabische Archäologen, die dort nach vormuslimischen Heiligtümern forschen und darüber auch öffentlich berichten, fänden sich kaum. Der Einzige dem eine (geheime) Ausgrabungsaktion auf dem Tempelberg nachgesagt wird war Montague Parker, der kurz darauf fliehen musste. Eine Anekdote berichtet, dass er Goldmünzen, die er gefunden hatte hinter sich warf, um auf seiner Flucht zum Jaffa-Hafen die Verfolger abzuschütteln. Das passierte Anfang des 20. Jahrhunderts und bis heute weiß außer ihm kaum jemand, was er real gefunden hatte. Im 19. Jahrhundert wurde der „Palestinian Exploration Fund“ in London gegründet, der eine systematische archäologische Erschließung des Landes ermöglichte. Die damaligen europäischen Großmächte zeigten vermehrt Interesse an den Stätten der Bibel und bewegten das geschwächte osmanische Reich zu großzügigen Konzessionen. Der Begründer der biblischen archäologischen Forschung war Edward Robinson und der Pionier der Archäologie von Jerusalem Charles Warren erhielt Ende des 19. Jahrhunderts die Erlaubnis sich bei seinen Ausgrabungen der Mauer am Tempelberg bis auf 15 Meter zu nähern, was ihn dazu verleitete sich durch weitere kleine Schächte unterirdisch heimlich an der Mauer entlang zu graben. Ein Vorgehen, das ihm später den Spitznamen „The Mole“ einbrachte. Wer die Muße hat, vergleiche die Publikationen der „Biblical Archaeology Review“, der „New Encyclopedia of Archaeological Excavations“ und der „History of Archaeological Research“ mit biblischen Hinweisen, den Beschreibungen des antiken jüdischen Historikers Flavius Josephus und guten historischen Karten, zum Beispiel aus dem Pictorial Archive auf Zypern. Der Augenschein vom heutigen Jerusalem verrät uns wenig von der Vergangenheit, wenn man nicht weiß, wie man die ausgestellten Orte ein- und zuordnen kann. Den Tempelberg kann man durchaus als Tempelberg akzeptieren, doch was sonst noch an „Heiligen Stätten“ angeboten wird, ist eher eine Darbietung für naive Gläubige. Die Angaben, die man von den lokalen Fremdenführern zu ‚heiligen Plätzen‘ erhält, sind so verhandelbar, wie die Preise auf dem Markt. Die Geschichte ist unter vielen Schichten der Zerstörung und Bautätigkeit begraben und es ist schon schwierig, sich die ursprüngliche Topographie der Stadt vorzustellen, da Senken, Täler und Hügel verbaut und aufgefüllt wurden und der Level der heutigen Altstadt viel höher liegt als der felsige Untergrund, beziehungsweise die für dieses Gebiet typische rötliche Erdschicht (Terra Rossa). Die Hauptstraßen der Altstadt verlaufen heute noch ziemlich genau nach dem quadratischen Muster, nach dem der römische Kaiser Hadrian die Stadt im zweiten Jahrhundert als „Aelia Capitolina“ neu hat aufbauen lassen.
Außerbiblische Quellen aus der Zeit Davids und Salomos, die sich auf deren Reich und Jerusalem beziehen, sind bisher nicht gefunden worden. Aus dem 9. Jh.v.Chr. gibt es allerdings auf der Siegesstele eines aramäischen Königs (Dan-Stele) einen Verweis auf das Haus David – das ist zwar aus der Zeit zweier Königreiche (Israel und Juda), zeigt aber, dass sich herrschende Könige auf Davids Genealogie und damit auf seine Autorität berufen. In einem Bericht am Karnak-Tempel, vom Feldzug oder Raubzug des Pharaos Shishak (10.Jh.v.Chr.) nach Juda, taucht Jerusalem nicht in der Liste der eroberten Städte auf, aber vielleicht gab sich Shishak mit den Schätzen, die er laut der Bibel aus dem Tempel und dem Palast erhielt, zufrieden. Die Existenz Davids und Salomos gänzlich zu leugnen ist im übrigen so sinnvoll als leugne man die Existenz anderer Größen, die keine schriftlichen Dokumente hinterließen, wie Zarathustra, Sokrates, Buddha oder Jesus und es hat vielleicht mehr mit der Agenda der Zweifler zu tun, als mit Aufklärung. Die weitere Besiedlung Jerusalems über die „City of David“ hinaus kann man gut verfolgen anhand der Berichte der Archäologen seit dem 19. Jahrhundert – man kommt nur zu keinem übereinstimmenden Ergebnis. Die Meinungen über die Ausdehnung Jerusalems schon zur Zeit des Ersten Tempels trennen die Archäologen und Historiker in die Minimalisten sowie die Maximalisten. Die extremen Meinungen reichen von „David und Salomo existierten nie!“ bis zu „Das Reich Davids und Salomos war so grandios wie in der Bibel beschrieben!“; liest man die biblischen Berichte, die Schilderungen des Flavius Josephus und die archäologischen Befunde, so kann man erkennen, dass sich Jerusalem nach Westen/Südwesten und nach Norden ausgebreitet hat. Die nördliche Ausdehnung auf den später so bezeichneten (Tempel-) Berg Moria, in kreativer Gleichsetzung mit dem biblischen „Land Moria“, in dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern sollte, resultiert aus den Bauvorhaben des Königs Salomo nach seiner Thronbesteigung, die offensichtlich auch keine simple Ablösung des alten Königs war. Salomo war keineswegs der Erste in der Thronfolge, sondern okkupierte den Thron blutig im Resultat innerfamiliärer Nachfolgekämpfe. Zu dieser Zeit war die Kunst der Architektur im Reich offenbar immer noch nicht sehr weit entwickelt, denn Fachleute aus Phönizien mussten wie schon für David ihr Knowhow und Material mitbringen. Man sollte also davon ausgehen, dass die Bauten auf dem Tempelberg den anderen administrativen und sakralen Bauten aus dem Syro-Phönizischen Bereich glichen, die man aus dieser Epoche (Eisenzeit II) bisher erschlossen hat. Salomo legte vermutlich auch mehr Wert auf seine Residenz als auf die Gottes, denn die Bauzeit für den königlichen Palast war fast doppelt so lang wie die des Tempels. Unsere nahezu einzige Quelle zum Bau des Tempels sind das „Erste Königsbuch“ und das Buch „Zweite Chronik“ in der Bibel, in welchen die Baumaßnahmen ziemlich real geschildert werden. Zu den Maßen des Tempels kann man noch den Propheten Ezechiel zu Rate ziehen, sowie in der Mischna, der Erläuterung zur Bibel, nachschlagen, die dem Tempel einen eigenen Traktat (middot) gewidmet hat. Die Mischna wurde allerdings erst um das Jahr 200 fertig gestellt, und die Angaben bei Ezechiel beziehen sich eher auf ein Ideal. Dass sich während einer Schwächeperiode der Großmächte am Nil sowie an Euphrat und Tigris ein selbständiges Königreich, mit wie viel Pomp auch immer, zwischen ihnen entfaltete, wäre nicht ungewöhnlich. Dass dieses auf der damaligen „weltpolitischen“ Bühne der Levante und des fruchtbaren Halbmondes eine herausragende Rolle spielte, ist aber eher zu bezweifeln. Was wir an archäologischen und schriftlichen Nachweisen dazu haben, ist leider nicht mehr als ein Tropfen im Ozean.
Die nach der Abtrennung des Nordreiches Israel in Jerusalem residierenden Könige des Südreiches Juda werden wie die des Nordreiches in den Bewertungen der Bibel nach ihrer Gottgefälligkeit gemessen. Interessanterweise schneidet dabei gerade der mit über 50 Dienstjahren am längsten herrschende König Manasse sehr schlecht ab und erscheint als ein übler, schlecht an Gott und den Menschen handelnder Despot. Im 8. Jahrhundert passieren drei Ereignisse, die den Leuten von Jerusalem die Idee eines einzigartigen Schutzes der Stadt eingegeben haben. Ein Erdbeben um 760 v.Chr., das so stark war, dass es auch bei zwei biblischen Propheten (Amos, Sacharja) erwähnt wird, die Zerstörung des Nordreiches durch die assyrischen Könige Salmanassar V. und Sargon II. ab 733 v.Chr. und die Invasion des Sanherib von Assyrien um 721 v.Chr., der durch Juda zog. Jedes Mal wurde Jerusalem verschont, so als ob Gott seine Hand schützend über die Stadt hält. In dieser Zeit begann Jerusalem mehr und mehr im Zentrum der Prophetie zu stehen, nicht zuletzt dank der Flüchtlinge aus dem zerstörten Nordreich, und es entstand eine Ideologie, die auf ein Volk, eine Dynastie und eine Stadt fokussierte, auch wenn der Jerusalemer Tempel zu dieser Zeit nicht der einzige Gottestempel im Lande war. In dieser Zeit erstreckte sich Jerusalem schon nicht mehr nur auf die Stadt Davids und den Tempelberg. König Hiskia startete eine Reihe von zusätzlichen Befestigungsarbeiten und ließ das Wasser des Gihon durch den schon erwähnten Tunnel in die Befestigungen umleiten. Anfang des 6. Jh.v.Chr. war es mit Gottes Schirm allerdings vorbei. Die judäischen Könige hatten sich, hin und her gerissen zwischen den Großmächten Ägypten und Babylonien, einmal zu viel für die falsche Seite entschieden. Erst verschleppten die Babylonier die „Oberen Zehntausend“ wie es in der Bibel heißt (Aristokratie, Militär, Fachleute und Beamte) und trotz intensiver Mahnungen dem König gegenüber, trotz Wehklagen und Visionen der Propheten Jeremia und Ezechiel kam die Armee des Nebukadnezar 10 Jahre später und zerstörte Jerusalem. Psalm 137 (An den Wassern zu Babylon …) gibt uns eine Ahnung von der Verzweiflung der Vertriebenen in der Diaspora und der spirituellen Bedeutung Jerusalems. Mehr als 50 Jahre später schuf der Perserkönig Kyros ein Reich, welches das assyrische und das babylonische an Macht und Ausdehnung übertraf und erlaubte den Judäern die Heimkehr und den Wiederaufbau ihres Tempels in Jerusalem. Für diesen Großmut erhielt er vom Propheten Deutero-Jesaja gar den Titel eines Messias zugesprochen. Eine enorme Ehre für einen Goi, wenn man bedenkt, dass der Messias für viele Juden eine religiöse, politische und militärische Heilsfigur ist. Aus dem biblischen Bericht des Nehemia, eines Mundschenks am persischen Hof, erfährt man von seinem Wiederaufbau der Stadttore und Stadtmauern, sowie vom Konflikt mit den Ansässigen. Die persische Provinz jahud blieb unselbständig bis in die Zeit nach den Eroberungen Alexanders des Großen. Die Armee des großen Makedonen zog vor allem die wichtige Küstenebene entlang und es ist nicht sehr plausibel, dass er vom Har HaZophim (Mount Scopus) auf den Tempel Jerusalem geschaut haben soll, wie es eine Legende berichtet. Das Gebiet wurde nach Alexanders Tod ein Schlachtfeld, ein Kampfplatz der Ptolemäer, die in Ägypten saßen, sowie der Seleukiden, die Syrien/Mesopotamien beherrschten und am Ende die Vorherrschaft über Juda gewannen. Im Jahre 163 v.Chr. obsiegte das jüdische Geschlecht der Hasmonäer im Kampf gegen die Seleukiden und sie errichteten ihr eigenes Reich. Zu dieser Zeit hatte sich schon eine Fraktion der Juden abgetrennt und ihr eigenes Heiligtum bei Sichem/Shechem (später Neapolis, Nablus) im Norden (in Samaria, die Samaritaner) auf dem Berg Garizim errichtet. Sie erkennen nur die fünf Bücher Mose (Pentateuch) der jüdischen Bibel an, da in den Geschichten der Erzväter im Buch Genesis Abraham den ersten Altar in Shechem errichtet. Die Seleukidendynastie erstand aus der Nachfolge des Makedonenkönigs Alexander und die Makkabäerbücher berichten, wie deren König Antiochus IV. die Juden gewaltsam zur griechischen Lebens- und Glaubensart zwingen wollte. In der Griechischen Welt trug Jerusalem den Namen „Hierosolyma“ und man erkannte den heiligen Status an, den die Juden mit dieser Stadt verbanden, wenn man sie auch als Absonderlinge betrachtete. Zu dieser Zeit hatten die Juden auch gegen die hellenistische Fraktion in den eigenen Reihen zu kämpfen, die für die griechische Kultur und Lebensweise offen war und begonnen hatte in der Oberstadt Jerusalems, auf dem westlichen Hügel, ihr Wohngebiet nach dem Muster einer griechischen Polis zu gestalten. Die Stadt war also hauptsächlich in zwei Sphären aufgeteilt, die sich um Tempelberg, die Stadt Davids und die Unterstadt, sowie um die Oberstadt auf dem westlichen Hügel konzentrierten. Heute befindet sich das ganze Gebiet größtenteils innerhalb der Altstadt, doch damals waren Ober- und Unterstadt durch das Tyropoeon getrennt und die Seleukiden hatten in der Oberstadt eine Garnison mit einer Zwingburg (Akra) errichtet, die erst im Jahre 141 v.Chr. erobert wurde. Wie man aus ihren Büchern erfährt, knüpften die Makkabäer nun internationale Beziehungen mit Rom an, damals noch als nahezu gleichrangiger Partner – vor dem 4./3. Jh. v.Chr. waren im Übrigen die Juden in der hellenistischen Welt eher unbekannt. Der Einfluss der kulturellen und politischen Umwelt war letztlich so stark, dass die letzten hasmonäischen Herrscher mit ihren Königshäusern mehr oder weniger den benachbarten hellenistischen Regenten glichen. Im 1. Jh.v.Chr. wurde die damalige Weltmacht Rom von um den Thron streitenden Parteien nach Jerusalem zur Unterstützung gerufen. Da römische Konsuln nur ein Jahr Zeit hatten, sich Ruhm zu erwerben, reagierten sie gern auf solche Gelegenheiten und so kam Pompeius, der ohnehin mit seinen schlagkräftigen Truppen im Osten des Imperiums unterwegs war, im Jahre 63. v.Chr. gerufen von der einen Seite (Hyrkanos) im Streit um Hohepriesterwürde sowie Königtum und eroberte Jerusalems Tempelberg gegen die andere Seite (Aristobulos). Von da an waren Juda und Jerusalem mit wenigen Unterbrechungen unter römischem, später byzantinischem Einfluss bis in die frühe muslimische Zeit. Das Verhältnis zu Rom war diesmal allerdings unter römischer Vorherrschaft und es ging so lange gut, wie Judäa den Status eines Klientelkönigtums hatte. Der herausragende König dieser Epoche war Herodes, der auf der einen Seite ein immenses Bauprogramm zur Mehrung des eigenen Ruhmes, aber auch zum Nutzen des Landes initiierte und auf der anderen Seite offenbar paranoid einen Teil seiner engsten Familie umbrachte – was bis heute für einen Gewaltherrscher, der lange genug an der Macht bleibt, nicht atypisch ist. Politisch agierte Herodes geschickt zwischen den römischen Konkurrenten und Nachfolgern Marc Anton, Caesar sowie Octavian und sicherte sich die Gunst des jeweils neuen starken Mannes in Rom. Der römische Einflussbereich erstreckte sich inzwischen bis Syrien und Nordafrika und die an der Macht befindlichen Herrscher der Levante mussten sich früher oder später mit Rom arrangieren, wenn auch immer wieder Herausforderer dieses Imperium, das seinerseits nicht von Friedensengeln regiert wurde, immer wieder attackierten. Herodes war der Bauherr, der in Jerusalem das Areal des Tempelberges durch Auffüllungen und gewaltige Stützmauern verdoppelte und ein weithin leuchtendes Gebäudeensemble schuf. Ein kleiner Ausflug in die geologische Geschichte des Landes hilft uns dabei, einen bestimmten Effekt nachzuvollziehen. Die aufgefalteten Steinformationen, aus denen sich die judäischen Berge bildeten, stammen aus der Oberen Kreidezeit (vor ca. 80 – 65 Mill. Jahren). Je östlicher man in Richtung der Jordansenke gelangt, umso weicher wird das Gestein, das unterschiedliche Farben aufweist. Aus dem Cenomanium stammt das Gestein mit den Bezeichnungen Mizzi Yahudi (grau) und Mizzi Ahman (rötlich) und aus dem Turonium stammen Mizzi Hilu (weiß/gelblich) und Mizzi Meleke. Mizzi Meleke ist goldgelbes Gestein, das bei passender Wetterlage weithin golden glänzen kann. „Golden Jerusalem“ hieß z.B. in der Antike ein Edelstein und Jerusalem muss mit seinen mächtigen Bauten ebenso golden glänzend in der Sonne erschienen sein (Yerushalayim shel Zahav). Man bekommt eine Ahnung von der Grandiosität der Bauten, wenn man den Überresten der westlichen Umfassungsmauer des Tempelareals durch den eröffneten „Westernwall Tunnel“ unter dem arabischen Viertel hindurch, mehr als 100 Meter bis hin zum ursprünglichen Felsgestein folgt. Am Ende des Tunnels befindet man sich nordwestlich des Tempelareals. Man läuft dort auf dem über 2000 Jahre alten gepflasterten Weg und kann noch die Aquädukt-Arbeiten aus hasmonäischer Zeit sehen. Wenn man aus dem Tunnel nach oben steigt, befindet man sich nördlich der Tempelplattform auf der Via Dolorosa, die zu Ostern von christlichen Fans geradezu verstopft wird. Die Steine aus herodianischer Zeit haben ein typisches Bearbeitungsmuster mit speziellen Rahmen und sind im Vergleich zu den Steinen der heutigen Stadtmauer aus muslimischer Epoche in ihren Ausmaßen gewaltig. Zwei als „Master Course“ bezeichnete Steinblöcke zum Beispiel, die in dieser Mauer (Western Course) unten verbaut worden sind, wiegen um die 600 Tonnen (siehe hierzu „Western Stone“). Auch der untere Abschnitt des so genannten „David Towers“ am Jaffa-Gate stammt aus der Zeit des Herodes und ist mit dem unteren Teil der Klagemauer einer der sichtbaren Überreste der antiken Residenz des Herodes. Der Turm mit dem antiken Namen „Phasael“ nach einem der Brüder Herodes war einer von drei einst gewaltigen Türmen (neben „Hippicus“ und „Mariamne“, dem Namen seiner hingerichteten zweiten Ehefrau). In diesem Turm und dem darum befindlichen Gelände befindet sich ein Museum, in dem man einiges zur Stadtgeschichte aus israelischer Sicht erfahren kann. Die Römer zerstörten im Jahre 70 nach der Eroberung im „Jüdischen Krieg“ Jerusalem fast völlig. Die Spuren ihrer Zerstörungstätigkeit sieht man noch an einigen Stellen entlang der Westmauer, besonders da, wo die beim ‚Schleifen‘ dieser Mauer oben herausgebrochenen Steinblöcke beim Aufschlag unten bis heute sichtbare, tiefe Dellen hinterließen. Juden und Juden-Christen war danach lange Zeit das Betreten der Stadt verboten. Die 10. Legion Fretensis wurde dort stationiert, die interessanterweise nicht nur Standarten mit dem Kaiser-Adler mit sich führte, sondern auch Standarten mit einem (Wild-) Schwein oben drauf – vermutlich das Symboltier der Legion.
Die Geschichte Jerusalems bekam im Ersten Jahrhundert ohnehin eine neue Tradition aus christlicher Perspektive. Die Stadt war zu einem Schatten-Dasein verurteilt, bis sie von Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert völlig neu als pagane Stadt, als römische Kolonie konzipiert wurde – inklusive Forum, Theater, Thermen, Triumphbögen, von denen der als „Ecce Homo“ bekannte von der christlichen Tradition adoptiert wurde, Tempel für römische Gottheiten und Statuen für den Kaiser. Auf dem Tempelberg wurden ein Tempel für Jupiter Capitolinus und ein Venustempel errichtet und über dem Platz, den die Christen als Grab Christi reklamierten, wurde ein Aphroditetempel erbaut. Von einem Platz am heutigen Damaskus-Tor ausgehend, unterteilte der Cardo Maximus, von dem ein relativ großes Teilstück im jüdischen Viertel zu besichtigen ist, die Stadt westlich des ehemaligen Tempelareals in Nord-Süd Richtung. Auf dem Platz innen vor dem Tor wurde auch eine Säule errichtet, an die der arabische Name des Tores (Bab al ’Amud) erinnert. In der ältesten schematischen Darstellung Jerusalems in einer Kirche in Transjordanien, dem „Madaba-Mosaik“ aus dem 6. Jahrhundert, sieht man deutlich den Platz mit der Säule und die Nord-Süd Achse des Cardo Maximus. Steht man heute an diesem Damascus-Gate (tatsächlich gingen von dort aus im Mittelalter Karawanen nach Damaskus) und schaut hinunter auf eine ca. 5 Meter tiefer gelegene Ebene, kann man ein Tor aus dieser Zeit sehen und erkennt gleichzeitig, auf welcher Höhe der Eingang in die Stadt damals lag. Diese nach dem Familiennamen des Kaisers und dem obersten Gott des römischen Pantheon Jupiter Capitolinus, benannte Stadt „Aelia Capitolina“, wurde nun römischer Kultur stärker angepasst. Aufgrund eines Aufstandes gegen Rom (Bar Kochba-Aufstand) wurde den „Beschnittenen“ (Juden und Juden-Christen) wieder das Betreten der Stadt komplett verboten. Auch der Name der Juden sollte verschwinden und so hieß die vormalige Provinz Judäa nun nach den indoeuropäischen Philistern – die im Zuge der sog. Seevölkerstürme seit dem Ende der Bronzezeit/Frühen Eisenzeit an der levantinischen Küste siedelten – Palästina (erweitert Syria Palästina); Jerusalem fristete bald das Dasein einer Provinzstadt, die römische Kapitale dieser Provinz war das weiter nördlich an der Küste gelegene Caesaraea.
Ein entscheidender Schritt in der Neugestaltung der Stadt geschah nach der Neuorganisation des Reiches durch Konstantin I. der das Christentum beförderte – kein ungeschickter Schritt zur Einigung des Reiches und zu einer religiösen Erneuerung. Nachdem die Kaiserinmutter Helena im 4. Jahrhundert nach Jerusalem gekommen war, erblühte die Stadt zu einem enormen Glanz und Reichtum. Das bauliche Grundmuster der herodianischen Stadt wurde übernommen. Der Jerusalemer Bischof Macarius hatte Helena offenbar soweit interessiert, dass sie voller Tatendrang nach Jerusalem kam und dort nicht nur den Bau verschiedener Kirchen, Schreine, Hospize und Klöster initiierte, sondern auch mit ihrem „archäologischen“ Scharfsinn oder vielleicht besser gesagt unter christlicher Supervision die wichtigsten Stätten von Jesu Sterben und Auferstehung festlegte und zur Belohnung das „Wahre Kreuz Christi“ fand. Viele Plätze waren der christlichen Tradition gut bekannt, der Felsen Golgatha zum Beispiel, wurde schon im 3. Jahrhundert nach Auskunft des Kirchenvaters Origines, nicht nur als Kreuzungsort Jesu, sondern auch als Grab Adams und Schrein Abrahams verehrt. Viel kaiserliches Geld und zahlreiche Pilger strömten in die Stadt, die jetzt wieder Jerusalem hieß. Den Juden wurde wieder erlaubt die Stadt zu betreten – allerdings nur einmal im Jahr, am 9. Av, dem traditionellen Tag der Zerstörung des Tempels. Eine jüdische Renaissance schien sich anzubahnen, als 361 in Rom Julian an die Macht kam, der von der christlichen Geschichtsschreibung den Beinamen Apostata erhielt, da er das Christentum ablehnte und eine religiöse Reform für sein Reich anstrebte. Er kam im Frühjahr 363 während der Vorbereitung eines Feldzuges gegen Persien nach Jerusalem und gab den Juden die Erlaubnis ihren Tempel wieder zu errichten. Doch alles war schnell wieder vorbei, als zuerst ein Erdbeben und zerstörerisches Feuer die Bauarbeiten unterbrachen und dann noch die Nachricht vom Tode des Kaisers eintraf. Sofort hatte die christliche Administration wieder Oberwasser und arbeitete weiter daran, Jerusalem zu einer rein christlichen Stadt aufzubauen. Die Invasionen im Zuge der Völkerwanderung ins Römische Reich und die Eroberung Roms spülten eine Welle von Migranten nach Osten. Doch nicht nur diese, sondern auch Verbannte und Ausgewiesene fanden den Weg von Konstantinopel oder Rom nach Jerusalem. Eudokia, die Gattin des Kaisers Theodosius II., kam nach ihrer Verbannung im Jahre 438 nach Jerusalem, brachte sehr viel Geld mit und engagierte sich für den Rest ihres Lebens für die Stadt. Sie veranlasste eine Reihe von Neubauten und erneuerte und erweiterte die Stadtmauer um die Stadt Davids und den Zionsberg herum. Dank ihrer Fürsprache wurde den Juden wieder erlaubt, sich innerhalb der Stadt anzusiedeln. Zur Zeit Justinians I. im 6. Jahrhundert erreichte Jerusalem den Höhepunkt seines Glanzes als byzantinisches Jerusalem. Heute sieht man von den byzantinischen Bauten nahezu nichts mehr, denn die Jahrhunderte danach brachten verschiedene Abschnitte der Zerstörung mit sich. In der Epoche der Auseinandersetzungen der Byzantiner mit dem Neupersischen Reich gelang den Persern unter Chosroes II. die Eroberung Jerusalems im Jahre 614. Ein Blutbad wurde unter den christlichen Bewohnern angerichtet und viele Kirchen und Klöster in der Umgebung der Stadt und innerhalb der Stadt wurden zerstört, wobei die Grabeskirche zum größten Teil verschont blieb. Den Juden, welche die Perser nicht ohne Grund als Befreier ansahen und die ihnen deshalb halfen, wurden großzügigere Freiheiten gewährt. Kurze Zeit später wendete sich das Blatt wieder und die Perser richteten sich gegen ihre früheren Alliierten. Sie vertrieben die Juden aus Jerusalem und schlossen mit den Christen großzügige Vereinbarungen in Bezug auf die Stadt. 8 Jahre nach der persischen Eroberung konnte der byzantinische Kaiser Heraklios I., der die Perser durch geschickte militärische Manöver in eine nachteilige Position gebracht hatte, als Befreier in Jerusalem einreiten und den Glanz der Stadt noch einmal mit einem Triumphzug und einem eigenen Triumphbogen erhöhen. Das Ende des byzantinischen Jerusalem kam bald danach. In einer beispiellosen Kampagne eroberten die muslimischen Armeen riesige Gebiete und standen 638 auch vor den Toren Jerusalems.
Ab hier beginnt für die Geschichte der Stadt wieder einmal ein neuer Traditionsstrang; ein neuer Kampf um die religiöse Bedeutung Jerusalems entbrannte nun zwischen Christen und Muslimen. Der viermonatigen Belagerung folgte die Übergabe der Stadt durch den Patriarchen Sophronius. Den Tempelberg hatten die Christen nur als Müllhalde genutzt und nach der Eroberung Jerusalems gestalteten die Muslime den Platz neu als Heiligtum. In Anlehnung an den hebräischen Namen „Ir HaKodesh“ nannten sie die Stadt „Madinat Bayt Al Maqdis“ (Stadt des Tempels), oder „Ilia“, abgeleitet von Aelia. Das Schema der Stadt, das schon aus der herodianischen Zeit stammt, wurde beibehalten, die Stadt war nach Glaubensrichtungen und Ethnien aufgeteilt. Im Nordosten wohnten die Juden, im Nordwesten, um die Grabeskirche verteilt, die verschiedenen östlichen Kirchen und das südliche Gebiet mit Zitadelle, Davidturm und Tempelberg bewohnten die Muslime. Nach den Räumungsarbeiten wurde unter dem Kalifen Umar provisorisch eine hölzerne Moschee errichtet. Von Abd Al Malik aus der Umayyaden-Dynastie wurde 691, möglicherweise in Konkurrenz zu Abdullah, dem Kalifen von Mekka und Medina, der bis heute beeindruckende Felsendom errichtet. Das Gebäude hat ein oktagonales Grundmuster und ist mit den herkömmlichen Moscheen nicht zu vergleichen. Östlich in wenigen Metern Abstand davon steht ein sehr kleiner Dom auf Säulen (Dom of the Chain) mit dem gleichen Grundmuster – vielleicht eine architektonische Vorarbeit? Anfang des 8. Jahrhunderts wurde, vermutlich von Al Walid, dem Sohn Al Maliks, auf der etwas tiefer gelegenen südlichen Plattform die „Al ’Aqsa“ – Moschee erbaut – der Name kommt aus der schwärmerischen Auslegung des ersten Verses von Sure 17, die von der nächtlichen Wegführung des Propheten zur Fernen (al ’aqsa) Moschee handelt. Falls der Felsendom mal wieder für Nichtmuslime zugängig ist, zeigt man auch gern den angeblichen Hufabdruck des Prophetens Pferd Burak auf diesem, vom gleichnamigen Dom umschlossenen, Felsen (ich sah diesen Fels im Kellergewölbe des Felsendoms 1996, bei nachfolgenden Reisen wurde mir als Nichtmuslim der Zutritt unter Verweis auf Scharons Besuch dieses Areals und der daraufhin folgenden Unruhen untersagt). Jerusalem erreichte später als „Al Quds“ (ab 10. Jh.) den dritthöchsten Rang an Heiligkeit nach Mekka und Medina und wurde somit wie bei Juden und Christen vor allem als Pilgerstätte und als Begräbnisplatz interessant. Wie in den Epochen davor spielte Jerusalem auch in der muslimischen Zeit keine große Rolle für die Administration. In der byzantinischen Provinz war das bewährte Caesaraea als administratives Zentrum Palästinas aus römischer Zeit verblieben und in der muslimischen Provinz Filistin wurde 716 Ramla als Kapital erbaut – der Sitz des Kalifen war Damaskus. Die Stätten der bis ins späte Mittelalter sehr hohen islamischen Gelehrsamkeit waren in Mesopotamien und später in Spanien zu finden. Im 11. Jahrhundert trat der sehr umstrittene Fatimiden-Kalif Al Hakim (reg. 996 – 1021) auf, er hatte eine Nestorianische Christin zur Mutter, erwarb sich den Ruf eines Verrückten und offenbarte sich als göttlichen Gesandten, bevor er nach einem Ausritt 1021 für Nimmerwiedersehen in der Wüste verschwand. In den Jahren 1008 – 1013 ließ er Christen und Juden verfolgen und terrorisierte während seiner Regierung auch die Muslime. In Jerusalem veranlasste er unter anderem die Zerstörung der Grabeskirche. Es war ein sehr gründliches Abriss-Werk, selbst der Golgatha-Felsen und die Grabeshöhle wurden zerschlagen – was wir heute an dieser Stelle sehen, stammt größtenteils aus der Epoche der Kreuzfahrer. Seit dem 11. Jahrhundert stieg die Bedeutung Jerusalems auch als weltliches Zentrum wieder an, vielleicht wegen zweier zerstörerischer Erdbeben 1033 und 1068, bei denen unter anderem Ramla ganz erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Die christliche Wallfahrt nach Jerusalem hat eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreichte, und besitzt bis heute eine enorme Bedeutung für die Gläubigen – aus dem Jahre 1065 wurde zum Beispiel über einen Treck von 12000 Pilgern aus Holland und Süddeutschland kommend berichtet. 1096 begann unter Papst Urban II. die erste der so genannten bewaffneten Wallfahrten – das Zeitalter der Kreuzzüge brach an. Am Anfang stand interessanterweise ein militärisches Hilfeersuchen des Byzantinischen Kaisers Alexios I. an den Papst gegen die Seldschuken in Anatolien. Zu dieser Zeit war die Morgenländische Orthodoxe Kirche schon über 40 Jahre von der Römisch Katholischen Kirche in Rom abgetrennt und das katholische Heer wurde im Osten kaum mit offenen Armen empfangen. Die Streitmacht unter der Führung verschiedener fränkischer Fürsten (Gottfried v. Bouillon, Raimund v. Toulouse, Stephan v. Blois) eroberte 1099 Jerusalem, das erst ein Jahr zuvor von den Ägyptischen Ayyubiden besetzt worden war, und richtete ein unvergleichliches Massaker unter der muslimischen und jüdischen Bevölkerung an. Gottfried v. Bouillon wurde zum Hüter des Heiligen Grabes (Advocatus Sancti Sepulchri) bestellt und ein Jahr später wurde Balduin I. König von Jerusalem. Die Stadt war anfangs ziemlich leer, Juden und Muslime hatten lange Zeit kein Wohnrecht, christliche Familien wurden aus dem Osten angelockt, sich unter sehr günstigen steuerlichen Bedingungen anzusiedeln und mehr und mehr Pilger blieben in Jerusalem. Die Stadt behielt das herodianische Muster, erhielt aber außerdem eine Ost – West Verbindung (Decumanus), wie bei den Küstenstädten Akko, Caesaraea und Ashkalon, bei denen das Westtor zum Hafen hinausführte. Das Gebiet um die Grabeskirche von „Porta David“ (Jaffa Tor) bis „Porta Sankt Stephani“ (Damaskus-Tor) wurde zum Patriarchenviertel, der Nordwesten bis zum „Porta Josaphat“ (Löwentor) zum Syrischen Viertel, der Südwesten zwischen „Porta Monte Sion“ (Zion-Tor) bis zur Zitadelle zum armenischen Viertel, wo es sich im Prinzip noch heute befindet. Zitadelle und Davidsturm wurden zum Königssitz, bis Balduin in die Al Aqsa umzog, und den Tempelberg hütete der neu gegründete „Templerorden“. Weitere Orden (Johanniter, Teutonen, St. Lazarus, Hospitaliter) wurden zur Betreuung und zum Schutz der Pilger gegründet, die aus ganz Europa und der Levante einwanderten und der Stadt einen kosmopolitanischen Charakter verliehen. An den Ruinen des St. Maria-Hospitals des Deutschen Ordens kommt man vorbei, wenn man von der Klagemauer zum jüdischen Viertel hochsteigt. Der Templerorden wurde später in einer Kampagne mit Hilfe der Inquisition vernichtet, der „Johanniterorden“ erhielten im 16. Jahrhundert Malta (daher später Malteser Orden) und dem „Deutschen Orden“ wurden von Friedrich II. das Land der preußischen Heiden übereignet. Der Felsendom, der jetzt „Templum Domini“ hieß, erhielt ein großes goldenes Kreuz und viele muslimische Heiligtümer wurden in Kirchen und Klöster umgewandelt. Die Grabeskirche durchlief eine 50jährige Rekonstruktions- und Vergrößerungsphase und wurde zur Grabstätte der Könige Jerusalems. Salah Ad Din b. Ayyub (Saladin) eroberte die Stadt allerdings schon wieder 1187 zurück und ließ viele Christen gegen Lösegeld abziehen. Die muslimischen Heiligtümer wurden wieder zurück gewandelt, das Kreuz vom Felsendom eingeschmolzen, den Juden die Rückkehr erlaubt und Jerusalem blieb unzerstört bis 1219. In dieser Zeit erlitt Ägypten durch den 5. Kreuzzug eine Invasion und Al Mu’azzam, der Neffe Saladins und Kalif von Damaskus, ordnete die Zerstörung Jerusalems an. Nur der Davidsturm, der Tempelberg, die Grabeskirche und verschiedene einzelne Häuser blieben unzerstört. 10 Jahre später wurde dem inzwischen vom Papst exkommunizierten Friedrich II. die Stadt wieder übergeben – mit Ausnahme des Tempelberges, also hauptsächlich Ruinen und die Grabeskirche. Das Ende der Kreuzfahrerstaaten in Palästina kam 1291 mit dem Fall von Akko, ihrer letzten Küstenfeste im Norden.
Vom 13. Jahrhundert bis ins 16. Jahrhundert herrschten in Jerusalem die Mamluken, die ihren Sitz in Kairo hatten. Sie kamen aus einer militärischen Kaste, waren als Kinder aus nichtmuslimischen Ländern geraubt worden und daher noch keine lange Zeit Muslime. Ihre Effizienz und ihr strategisches Denken sicherte ihnen nach einem Palastcoup gegen die Ayyubiden die Macht in einem großen Gebiet für einen langen Zeitraum. Ihre wichtigsten Gegner waren die christliche Bedrohung an der Küste und die Mongolenheere, die aus Innerasien kamen und 1258 das Kalifat der Abbasiden in Bagdad vernichteten. Entfernt von militärischer Bedrohung, in den Bergen gelegen und unbefestigt, sank Jerusalem wieder ab in den Stand einer unwichtigen Provinzstadt und ein Gouverneur niederen Ranges, meist ohne Verständnis für lokale Befindlichkeiten, nahm seinen Sitz dort. Aber abgesehen von der strategischen Bedeutung war für viele muslimische Gläubige mit der Besetzung Jerusalems durch die (ungläubigen) Christen das Bewusstsein der Verletzlichkeit des Ortes und des religiösen Wertes erwacht. Viele Muslime anerkannten Jerusalem als den Ort der ursprünglich ersten qibla, der Gebetsrichtung, in die sich der Prophet gewendet hatte. Hohe Würdenträger spendeten Geld für den Bau von Einrichtungen, zum Beispiel ließ der Sultan Barquq 1389-99 den südwestlich der Stadt gelegenen Pool restaurieren, der seitdem als „Sultans Pool“ bekannt ist. Viele Madrassen (Schulen) wurden erbaut, Lernende und Lehrende zogen nach Jerusalem, Mystiker kamen in die Stadt. Einige der typischen Eingangsfassaden der Madrassen aus dieser Zeit finden sich immer noch in der Stadt – sie sind von steinernen Bänken und manchmal Fenstern flankiert, besitzen über der nach hinten versetzten Tür eine konkave Einwölbung und sind mit verschiedenfarbigen Steintypen in versetzten Lagen und stilisierten Kacheln dekoriert. Jerusalem wurde außerdem, wie bei den Byzantinern, ein Abschiebeplatz für Leute, die bei Hof in Ungnade gefallen waren. Diese Emire und andere Würdenträger sahen im Laufe ihres Zwangsaufenthalts die Möglichkeit sich einen Ruf als Wohltäter zu erwerben und veranlassten den Bau von Schulen, Bädern und anderen nützlichen Bauten. Viele Muslime flohen auch vor der christlichen Reconquista in Spanien und vor dem religiösen Fundamentalismus der berberischen Almohaden in Spanien und Nordafrika. Der multinationale Charakter der Stadt wurde durch Pilger aus der gesamten christlichen Welt und durch verstärkten Zuzug europäischer Juden, die der Verfolgung in Westeuropa entflohen, verstärkt. Der berühmte Rabbi und Gelehrte aus Cordova Moshe ben Nachman (Nachmanides) erhöhte noch einmal das jüdische Prestige der Stadt und ließ eine Synagoge erbauen. Ende des 15. Jahrhunderts kam ein neuer Strom jüdischer Flüchtlinge aus Spanien und Portugal, wo sie ausgeplündert und ausgewiesen worden waren. Die Juden wohnten in einem kleinen Viertel im südlichen Abschnitt der Hauptstraße, die vom Damaskus-Tor zum Zion-Tor führt. Links neben ihnen wohnten die Armenier in ihrem schon traditionellen Viertel, nördlich davon um die Grabeskirche verteilt, lebten alle christliche Denominationen – Äthiopier, Kopten, Syrer, Griechisch-Orthodoxe u.a.m., von denen wir meist durch die Aufzeichnungen katholischer Pilger wissen. Muslimische Minoritäten hatten ebenfalls ihre eigenen Wohnviertel – die Nordafrikaner westlich des Tempelberges, die Kurden östlich vom jüdischen Viertel, im nordöstlichen Teil der Stadt lebten Orientale von Persien bis Zentralasien und östlich der Stadt, die immer noch keine restaurierte Stadtmauer hatte, lebten die Muslime aus Nordindien. Als muslimische Pilgerstätte auf dem Weg nach Mekka und Medina oder auf dem Wege zurück hatte sich Jerusalem etabliert. In der Zeit der Mamluken wurden die Juden nicht als Bedrohung gesehen und das Verhältnis zu ihnen war weitgehend friedlich, meist gab es Auseinandersetzungen mit den Christen – um Steuern, um das Besitzrecht auf bestimmte Gebäude, oder sie wurden schlicht und einfach erpresst.
1516 schlugen die osmanischen Türken die Mamluken nahe Aleppo und im Dezember kam Sultan Selim I. nach Jerusalem, um die Stadt in Besitz zu nehmen. Sein Sohn Suleiman der Prächtige erneuerte und formte die Stadt neu. Er ließ die Davidszitadelle, Türme und Aquädukte restaurieren und die Stadtmauer, wie wir sie heute sehen, errichten. In den zwei Gräbern, die sich in einer kleinen Einfriedung hinter dem Jaffa-Tor befinden, liegen die beiden Architekten der Stadtmauer – Suleiman habe anfangs ihre Arbeit überhaupt nicht gefallen und so soll er sie erst umgebracht, aber später wieder rehabilitiert haben. Die Stadt verfiel bald wieder dem Dornröschenschlaf und neue Aspekte verursachten ihren Niedergang. Zum einen kamen weniger Pilger aus Europa, das nach dem Zeitalter der Glaubenskriege und nach der Französischen Revolution immer weniger an archäologischen Denkmälern aus der Geschichte des Christentums interessiert war. Zum anderen spürte die Stadt die Folgen der Dekadenz und der Korruption im osmanischen Reich und die Gouverneure versuchten in ihrer kurzen Amtszeit viel Profit aus ihrem Distrikt zu schlagen wie es dazumal schon bei den römischen Prokuratoren üblich geworden war. Christen und Juden hatten keine Erlaubnis zum Bau neuer Gebäude, sie durften nicht auf Pferden reiten, mussten kenntliche Kleidung tragen, auch wenn diese Beschränkungen manchmal umgangen werden konnten, und ihr Zeugnis vor Gericht gegen einen Muslim wurde nicht anerkannt. Aus pekuniären Gründen wurde der Kampf um den Besitz heiliger Stätten auch zwischen den christlichen Kirchen härter, denn vielfach waren die Pilger die einzige Einnahmequelle, ein Faktor, der in Palästina bis heute wichtig ist. Die von Nachmanides erbaute Synagoge wurde vom türkischen Pascha konfisziert und die Sephardim (Spanier, nordafrikanische Juden) mussten ein anderes, schlechteres Haus als Synagoge nutzen. Ende des 17. Jahrhunderts kam der berühmte Rabbi Juda HaChassid aus Polen mit 800 (mystischen) Anhängern und erbaute die Hurva-Synagoge, doch nach 20 Jahren wurde diese auf Befehl des Paschas zerstört. Erst im 19. Jahrhundert ließ Rabbi Mendel v. Shklov die Hurva-Synagoge für die Ashkenazim (Deutsche, osteuropäische Juden) neu errichten, die 1948 von arabischem Militär zerstört wurde. Ihr einsam stehender Steinbogen ist heute ein Wahrzeichen im jüdischen Viertel der Altstadt (inzwischen als prächtigste Synagoge im jüdischen Viertel wieder neu erbaut und 2010 eröffnet). Als 1799 Napoleon nach seiner ägyptischen Expedition durch Palästina kam, war seit den Kreuzzügen wieder eine europäische Armee im Nahen Osten. Im 19. Jahrhundert gerierten sich die europäischen Großmächte, deren imperialer Anspruch auch Palästina erfasste, als Beschützer der jeweiligen (protestantisch, katholisch, orthodox) Kirche in Jerusalem. Sie untermauerten ihre Ansprüche mit der Errichtung von Konsulaten, Kirchen, Dormitories, Hospizen, Schulen u.a.m.; die Ruine der von Conrad Schick errichteten Mädchen-Schule „Talita Kumi“ bildet heute einen hübschen Kontrast vor einem überaus hässlichen Büroturm und einem nicht minder hässlichen Einkaufszentrum an der Ecke King George-/Ben-Yehuda-Street. Beispiel gebend war auch der pompöse Besuch des deutschen Kaisers Wilhelm II. 1898. Am Jaffa-Tor wurden seitliche Teile abgerissen, um den Einritt seiner Majestät in die Stadt zu zelebrieren. Auf dem Zions-Berg wurde die eindrucksvolle Dormition-Abtei errichtet, das Kaiserin-Victoria-Hospiz neben dem Ölberg und innerhalb der Altstadt das Alexander-Hospiz und die Erlöserkirche. Außerhalb der Altstadt ließen sich mehr und mehr missionarische Organisationen nieder und die Zahl der jüdischen Einwanderer stieg an. Betuchte Wohltäter wie Moses Montefiore erbauten Wohnviertel außerhalb der Stadtmauern (s. Montefiore Windmill). Theodor Herzl, der als Journalist die Dreyfusaffäre miterlebte, initiierte die moderne zionistische Bewegung, deren Ziel die Gründung eines Staates für die Juden in Palästina war. Am Ende des 19. Jahrhunderts lösten die Pogrome in Russland die erste Einwanderungswelle (Alia) nach Palästina aus, von denen es bis zum zweiten Weltkrieg 4 weitere gab. Die jüdische Bevölkerungsgruppe wuchs stark an und die Juden begannen langsam die Majorität in Jerusalem zu bilden. Mit dem Bau der Eisenbahn nach Jaffa 1898 war Jerusalem auf direktem Wege mit dem Mittelmeerhafen verbunden. Während des ersten Weltkrieges besetzten britische Truppen unter Allenby 1917 die Stadt und nach dem Ende des Krieges, als sich die „Hohe Pforte“ in Konstantinopel auf der Seite der Verlierer fand, übernahmen die Briten vom Völkerbund das Mandat für Palästina. Sie agierten von da an sozusagen zwischen den Stühlen sitzend und bevorzugten mal jüdische und mal arabische Interessengruppen, zwischen denen ein immer schärferer Interessenkonflikt entbrannte. Die jeweiligen Ansprechpartner waren die „Jewish Agency“ unter Chaim Weizman und das „Arab Higher Committee“ unter Mufti Al-Husseini und die Briten trafen nicht immer eine faire Wahl bei ihren politischen Entscheidungen. Der „Yishuv“, die jüdische Gemeinschaft in Palästina gründete Siedlungen und baute effektiv an einer Infrastruktur. Um die Altstadt herum entstanden Vororte (Romema, Talpiot, Bait HaKerem, Rehavia) und landwirtschaftliche Siedlungen (Ramat Rachel, Neve Ya’akov) und die Hebräische Universität wurde 1925 auf dem Mount Scopus eröffnet. Zu den ersten antijüdischen Unruhen kam es schon 1920 und der Konflikt verschärfte sich in den dreißiger Jahren. Während die Juden in Palästina immer mehr Flüchtlinge aus Europa empfingen, ging Al-Husseini nach Deutschland, um bei Hitler um Unterstützung zu werben und ihm Hilfe bei der „Lösung der Judenfrage“ zu versprechen. Die Kämpfe im Lande verschärften sich, auch die Zahl der britischen Opfer stieg schnell an, da jüdische Extremisten jetzt direkt gegen britische Vertreter vorgingen – die geheime zionistische Untergrundarmee Irgun Zwai Leumi zerbombte den Sitz der britischen Verwaltung im Jerusalemer King David Hotel am 22.7.1946, wobei 96 Menschen starben. So zogen sich schlussendlich die Briten unter dem Druck der Weltöffentlichkeit, der Interessengruppen und der eigenen Bevölkerung zurück. Die UNO-Vollversammlung beschloss am 12. November 1947 die Gründung des jüdischen Staates in Palästina und rief die Bewohner des Landes zu den nötigen Bemühungen auf. Die jüdisch-arabischen Kämpfe verschärften sich erneut und als das Mandat der Briten am 14. Mai 1948 erlosch, riefen David Ben Gurion und seine Mitstreiter den Staat Israel aus.
Die benachbarten arabischen Staaten Ägypten, Libanon, Syrien, Jordanien zusammen mit Irak in einer Allianz griffen sofort an – sie behaupteten, und einige halten diese Behauptung bis heute aufrecht, Israel habe kein Existenzrecht dort, trotz des mit Mehrheit angenommenen UN-Teilungsbeschlusses und obwohl Palästina ein Teil des Osmanischen Reiches war, das nach dem Ersten Weltkrieg aufgehört hatte zu existieren – und die jordanischen Streitkräfte eroberten in Jerusalem die gesamte Altstadt, die zusammen mit dem Westjordanland nach dem Waffenstillstand ein Jahr später zum Transjordanischen Königreich der Hashemiten gehörte. Hier begann auch ein neues Kapitel in der Leidensgeschichte Flucht und Vertreibung von Arabern und Juden, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Ein zerstörtes jüdisches Viertel, Stacheldraht und Mauern gehörten danach zum Erscheinungsbild Jerusalems, das Israel zur Hauptstadt erklärt hatte, doch von der Staatengemeinschaft als solche nicht anerkannt wird. Den Juden war das Beten an der Klagemauer nicht mehr möglich. Knapp zwanzig Jahre später im Sechs-Tage-Krieg erkämpfte die israelische Armee einen unerwartet überragenden Sieg und besetzte, neben andern großen Gebieten wie den Golan und die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland und den gesamten Ostteil von Jerusalem. Israel übernahm die administrative Hoheit der Stadt, überließ aber den Tempelberg dem waqf, der „Frommen Stiftung“ zur Bewahrung der heiligen islamischen Stätten, in einer Stunde der Besinnung inmitten des messianischen und chauvinistischen Taumels. Der Platz vor der Klagemauer wurde, sozusagen unter dem Recht des Siegers, geschleift und das jüdische Viertel neu errichtet. Israel gelang es nicht, den Status der über den ursprünglichen Teilungsplan der UN von 1947 hinausreichenden und 1967 besetzten Gebiete politisch einvernehmlich festzulegen, obschon sie bis heute einen Großteil davon den arabischen Institutionen wieder überließ – Israel zog sich beispielsweise 2005 komplett aus Gaza zurück, mit dem bekannten Ergebnis – und hat sich somit eines seiner größten Probleme auch mithilfe seiner Siedlungspolitik geschaffen. Allerdings machten schon weder Ägypten noch Jordanien Anstalten, ihren arabischen Brüdern und Schwestern Eigenstaatlichkeit in Gaza oder Westjordan zu gewähren, im Gegenteil – als beispielsweise palästinensische Guerilla mit Hilfe syrischer Truppen quasi einen Bürgerkrieg gegen das Haschemitische Königshaus in Jordanien vom Zaume brach, schlug König Hussein so schnell wie hart zu, besiegte und vertrieb bis 1971 jene Krieger sowie die PLO-Führungsspitze (Schwarzer September; Überlebenskünstler Arafat durchstand auch dies).
Die internationale Staatengemeinschaft hält pro forma an einem besonderen Status Jerusalems fest, selbst wenn diese Stadt 1948 mit Unabhängigkeitserklärung und Staatsgründung zur Hauptstadt Israels erklärt wurde, seine wichtigsten Institutionen ihren Sitz dort haben (Parlament, Regierung, oberstes Gericht sowie Staatspräsident) und ausländische Staatsgäste ihre Reden durchaus auch vor der Knesset in Jerusalem halten – ein Kreislauf der Ignoranz, der 2017 von US-Präsident Trump mit seiner Anerkennung und Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem durchbrochen worden ist. In vielen palästinensischen Schulbüchern existiert gewöhnlich kein Israel, obschon sich doch viele arabische Politiker und Würdenträger längst von der militärischen Drohung verabschiedet haben, alle „Juden ins Meer“ zu treiben (Nasser 1967; Nofal 2020). In einem unserer israelischen Lieblingsklubs (D1/Diwan) in Jerusalem jedenfalls wurde auch palästinensisches Bier (Taybeh, gibt’s sogar in kosher 😉 ) gezapft, wir feierten&flirteten mit Juden wie mit Arabern und natürlich ohnehin verkehren hüben wie drüben beidseitig Geschäftsleute sowie Diplomaten miteinander. Im Westteil der Stadt versuchen Orthodoxe das Leben zu reglementieren, doch immer weniger mit Erfolg, wie die steigende Zahl der geöffneten Kneipen am Shabbat und ihre freitägliche Partylaune in der Szene anzeigen. Erfolgreich sind besonders die Orthodoxen Mea Shearims vor allem in Reproduktion und Kinderreichtum, weshalb ihr Viertel langsam aus allen Nähten platzt. Israel schafft in Jerusalem mit baulichen Maßnahmen Tatsachen und errichtet um die Stadt seit langer Zeit schon einen Ring von Siedlungen (Ma’ale Adumim, Atarot, Gilo u.a.). Jüdische Extremisten, Gläubige und Schwärmer träumen von der Errichtung des dritten Tempels und trainieren schon den Priesterdienst an einem Modell. Der Griff nach arabischem Grundbesitz in der Altstadt führt regelmäßig zu Unruhen; die israelischen Araber werden nicht nur in ihrer ID als solche gekennzeichnet, sondern dann und wann auch von den Schikanen einer Besatzungsmacht traktiert. In dieser immer wieder spannenden Situation kann man ein für israelische Verhältnisse normales und kulturell buntes Leben mit Israelis und Palästinensern führen – man sollte sich aber daran gewöhnen, dann und wann von Bewaffneten mit und ohne Uniform umgeben zu sein. Leider kommt es manchmal vor, dass Terrorismus auch in dieser Stadt seine Opfer fordert und diese nicht so leicht aus dem Gedächtnis verschwinden (während meines Studienjahres gab es dort einige ‚Höhepunkte‘ der 2. Intifada, inklusive explodierender Busse). Die israelische Betonmauer zum Schutz vor erwähntem Terrorismus und Absperrung im Osten Jerusalems kann man von verschiedenen Stellen aus mit bloßen Augen sehen und zu Arafats Lebzeiten präsentierten er und seine alten Mitstreiter den Besuchern Ramallahs (auch ich war mit Bekannten dort, aber der Meister geruhte zu schlafen und empfing uns nicht) sein von israelischem Luftschlag in Klump gebombtes Hauptquartier und Amtssitz Muqataa (vor 1948 war es ein britisches Hauptquartier, nach Arafats Tod ließ es Palästinenserführer Abbas mitsamt einem Mausoleum für den ‚Ewigen Helden Arafat’ wieder neu errichten). Interessant sicherlich auch für die vielen UN-Beobachter, Journalisten und NGO-People die einen Zipfel Weltgeschichte bequem und live bei „Cafe HaFouch“ miterleben können, wenn sie für ihre Akkreditierung erstmal die Strapazen der israelischen Bürokratie überstanden haben (in meiner Erinnerung so nervig wie deutsche oder japanische). Da die palästinensische Führung nicht in der Lage ist, die Vision eines Staates mit Leben zu erfüllen und offensichtlich wenige Freunde in der arabischen Welt hat, die auf dem Wege dahin helfen wollen, bleiben als Alternative der Hass gegen Israel, das Geld und die Unterstützung derjenigen (da gibts auch in DE viele Sympathisanten), die am kriegerischen Vorgehen gegen den Judenstaat weiterhin interessiert sind und der Traum einer arabischen Hauptstadt Jerusalem. So sprayen also einige an die Wand mavet le’aravim (Tod den Arabern), während andere den Tod von Juden durch Terroranschläge bejubeln; manche Araber träumen von Al Quds ohne hebräische Straßennamen, während einige Juden von einem Yerushalajim mit dem dritten jüdischen Tempel anstelle des Felsendoms hoffen, doch das wird es wahrscheinlich erst geben, wenn Gott seinen Gesandten losschickt.
PS: In DE bekunden besonders „linke“ Politiker öffentlich ihr Missfallen zum Judenstaat Israel; inwiefern dies mit dem traditionellen Judenhass früherer Sozialisten&Kommunisten zusammenhängt, sollten diese schon selbst erkunden, deutlich wird jedenfalls ein gewisser Schulterschluss mit zugewanderten Muslimen und deren auch in DE öffentlich geäußerten Todesdrohungen gegen Juden/Israel, traurig ist das …
Wichtige Quellen:
Aharoni; The Archaeology of the Land of Israel
Ahituv; Handbook of Ancient Hebrew Inscriptions
Bahat; Der Atlas des Biblischen Jerusalem
Ben-Sasson; Geschichte des Jüdischen Volkes
Bibel
Broder; Die Irren von Zion
Flavius; Der Jüdische Krieg
Gonen; Contested Holiness
Herzog; Archaeology of the City
Kempinski/Reich; The Architecture of Ancient Israel
Mishna; V. Seder Kodashim, 10. Traktat Middot
Moortgat; Geschichte Vorderasiens bis zum Hellenismus
Sapir/Hildebrand; Historical Geography of Jerusalem through the Ages
Schäfer; Geschichte der Juden in der Antike
Tarn/Griffith; Kultur der Hellenistischen Welt
Weippert; Handbuch der Archäologie, Palästina in Vorhellenistischer Zeit



































