Mit seiner Inselvielfalt, den Korallenstränden, seinem Fisch-, Vogel- und Insektenreichtum, mit seinen Tropengewächsen sowie Regenzeit erweckt Okinawa subtropische Lebensfülle und damit auch ein besonderes Befinden weit mehr als alle japanischen Eilande nördlich davon. Japaner nutzen diese südliche Inselwelt zur Erholung so, wie zum Beispiel viele U.S.-Bürger Hawai’is Inseln genießen – wenn auch Hitze oder Regenzeit sowie diverse Insekten hier sicherlich für manches Wohlbefinden eine Herausforderung darstellen.
Zwar ist nun (Oktober 2020) das japanische Leben seit den Einschränkungen aufgrund CoVid-19 (https://t1p.de/rnfq) auch in unserer schönen Shonan-Heimat am Pazifik auf Honshu etwas entschleunigt – wie dies aber immer unauffälliger wird, das wurde auf diesem Blog schon geschildert (siehe im Link oben). Die Einschränkungen sind in den einzelnen Präfekturen mehr oder weniger locker und der Umgang mit Masken oder soziale Distanz in Behörden oder Supermärkten sind den Japanern ohnehin nichts Unbekanntes. Im Gegensatz zu den Deutschen, deren Regierung erneut Lockdown-Maßnahmen beschließt, die umstandslos sämtliche Einwohner beschränken, tragen die Japaner eher ihrer Lebenspraxis und dem Umstand einer von Spezialisten immer deutlicher erklärten Lebens-Ungefährlichkeit des Virus für den übergroßen Teil der Bevölkerung Rechnung (Prof. of Epidemiology/Stanford Dr.Ioannidis: „The infection fatality rate of COVID-19 inferred from seroprevalence data […] Infection fatality rates ranged from 0.00% to 1.63% and corrected values ranged from 0.00% to 1.31%. Across 32 different locations, the median infection fatality rate was 0.27% [corrected 0.24%].“ https://t1p.de/15w9). Der frühere Premier Abe hatte ja schon am 26. Mai öffentlichkeitswirksam mit dem Ablegen seiner Maske während der Pressekonferenz das Ende der zentralen Lockdown-Maßnahmen für das ganze Land verkündet; Risikogruppen erhalten natürlich weiterhin besonderen Schutz und in einzelnen Präfekturen wird je nach Bedarf gehandelt.
Im globalen Verkehr sind momentan die legalen Einreisen erschwert – illegale Einwanderungen bleiben dank ihrer Insellage und der vergleichsweise strengen Regelungen für Japan marginal, doch nach Deutschland beispielsweise finden diese jährlich noch bis in sechsstellige Höhe statt und so gab es 2020 allein bis Oktober laut BAMF über 93.000 Asylanträge aus der Gruppe der Immigranten (hauptsächlich aus Vorder- bis Mittelasien und Afrika https://t1p.de/v3dj). Zum Erwecken von Reise- und Konsumlust gibt es hier zur Zeit unter dem Ansporn und der finanziellen Unterstützung der japanischen Regierung jede Menge sehr günstige Aufenthalts- und Reiseangebote (go-to-campaign) und in bereisten Hotels werden von der Regierung finanzierte Schecks ausgestellt, um den Umsatz vor Ort anzukurbeln. Eigentlich verreisen Japaner recht gerne, doch viele Menschen sind aufgrund der Umstände international aber auch im Lande weitaus weniger unterwegs als üblich, so wie ebenfalls der Handel eingeschränkt bleibt. Welche wirtschaftlichen Folgen der ausbleibende Tourismus und die Handelsbeschränkungen gerade für sehr viele Menschen besonders in den aufstrebenden Ländern Asiens haben, spiegelt sich in einigen Diskussionen von Ökonomen wieder.
Ich bin der einzige Whitey (so nennen sie hier manchmal landläufig flapsig die Leute europäischer Abstammung 😉 ) weit und breit morgens am Airport Tokyo-Haneda, als wir uns zu unserem Flug Richtung Okinawa einfinden. Auf den modernen Flughäfen Japans ist nicht nur alles penibel sauber und gepflegt, sondern überaus effizient eingerichtet. So funktioniert das Checkin sehr gut und entspannend vollautomatisiert (Hallo Deutschland!), sodass der Fluggast häufig erst am Gate beim Boarding auf die Airline-Mitarbeiter trifft. Für Domestic Flights werden keine Ausweise geprüft, der Fluggast kann sich an Tableaus selbst den Boardingpass ausdrucken, sein Gepäck voll automatisiert einlesen, aufgeben und die Security lässt sich zügig routiniert durchschreiten. Eine angenehme Morgenüberraschung wartet bald nach dem Start auf uns, denn der Pilot fliegt auf unserem Weg nach Süden eine Schleife entlang des sich von oben in wunderbarer Pracht präsentierenden Fujisan aus ca. 6000 Metern Höhe.
Das dunkelblau, türkis bis grünlich schimmernde Meer, bestes Sonnen- und T-Shirt-Wetter empfangen uns auf Okinawa. Außer der Monorail-Hochbahn, welche den Flughafen Nahas mit der Stadt verbindet, gibt es nur Bus, Taxi und verschiedene Mietwagen- und Fahrradleihfirmen für den Verkehr der Reisenden. Fahrradwege sind hier zwar gut, doch nur wenige, nur auf relativ kurzen Strecken entlang der Gestade, und meistens nutzen wir beim Radeln die mehr oder weniger breiten Fußsteige neben den Straßen oder die Landstraße selbst. Im Landesinnern lässt sich die bezaubernde Natur geruhsam bewundern – die Autofahrer sind hier entspannter als auf Honshu (https://t1p.de/qfiu) und ganz bestimmt besinnlicher als die deutschen Chauffeure. Die Fruchtbarkeit dieses südlichen japanischen Eilandes – es liegt fast auf der Höhe Taiwans – ist dank seiner Lage, Temperatur und Regenfülle so legendär, wie ich es zum Beispiel neben Taiwan auch in Sri Lanka, Singapur/Malaysia, Thailand oder Vietnam erlebte. Die Herzlichkeit der O’Khinas (so nennen sich die seit Generationen hier ansässigen Familien) ist annehmender, als ich sie von der ehrwürdigen, doch kühlen Distanz der Einwohner auf der Hauptinsel Honshu kenne. Okinawas hübsche Mädel gelten im Rest Japans, wie sich auch bei den TV-Talente oder Japanese Idol Shows zeigt, als exotische Schönheiten.
Der japanische Einfluss auf Okinawa war schon in der Edo-Periode überragend und wurde endgültig dominant Ende des 19. Jahrhunderts nach der Übernahme des heruntergewirtschafteten Reiches Ryūkyū Ōkoku 琉球王国 als japanische Präfektur. Seit dem Ende des von Japan begonnenen und mit seiner Niederlage und Kapitulation endenden Pazifikkrieges, in dem auf Okinawa während der blutigen Inselkriege besonders viele Menschen ihr Leben ließen, etablierten sich auch hier gewisse nationalistische Symbole und Monumente, zum Beispiel rund um den wunderschönen Gokoku-Schrein 沖縄県護国神社, an dem alltäglich die japanische Flagge flattert (eigentlich unüblich für andere als die von bestimmten japanischen Politikern bevorzugten Shinto-Schreine). Hier wird den Seelen der Gefallenen und Verstorbenen seit den russisch-japanischen und chinesisch-japanischen Kriegen zu Ende des 19. Jahrhunderts gedacht. Solche Schreine sind beliebt bei Uyoku 右翼団体 – man sagt, dies sei eine nationalistische, politisch reaktionäre Assoziation und ich erinnere ihre unter anderem mit japanischen Kriegsflaggen geschmückten Lautsprecherwagen, die an wenigen Orten manchmal durch die Straßen fahren und aus Lautsprechern Parolen erklingen lassen.
In Erinnerung an das tragische Ende der berühmten Burg Shuri, die wir noch auf unserem letzten Besuch in voller Pracht bewundern konnten (https://t1p.de/zcc9), beschließen wir, dieses Mal auf Okinawa Island die Küstengegenden zu erkunden, zu radeln, freundliche Leute zu treffen, Natur, Museen, Meer und Sonne zu genießen. Es lohnt sich sehr, im T-Shirt-Wetter, bei Sonne und manchmal auch Niesel oder während der Regenzeit (üblicherweise Mai bis Juni) stärkeren Niederschlägen – kann dich zwar völlig durchnässen, garantiert aber andererseits diese grandiose Naturfülle – denn es ist zwar so manches Mal recht sportlich, aber bietet dann von einigen Ebenen labenden Blick über dieses schöne Eiland. Diese Südinsel ist freilich längst nicht so groß wie die Nordinsel Hokkaido und die vorhandenen Militärbasen beanspruchen recht viel Platz, so wie ihre Flugmanöver mit steigender Siedlungsdichte immer mehr Leute verärgern (böse Zungen behaupten gar Okinawa is among military bases). Vielleicht hat das allerdings mit der strategischen Lage und seiner Gefährdung zu tun, die ja von vielen Japanern nicht bezweifelt wird – China ist von hier nicht so weit entfernt (liegt sozusagen gleich hinter Taiwan, the Republic of China), seine Drohgebärden waren nie zu übersehen und das japanische wie auch das amerikanische Militär sind darum stark präsent. Wir kamen also regelmäßig an weitläufigen Camps der US-Marines (Foster, Lester, Hansen und anderen), am Militärhospital in Ginowan und der Kadena Airbase vorbei. Verschiedene Flugmanöver verärgern viele Einwohner bis in die Nacht und Anwaltsbüros posten ihre Empfehlungen, dagegen zu klagen – was mit deren Hilfe dann auch regelmäßig geschieht, denn es existieren ja eigentlich den militärischen Flugverkehr betreffend zwischenstaatliche Vereinbarungen, die zum Schutze der Einwohner gedacht sind. Von der Stadt Kin gab es im letzten Jahr eine Kampagne darum, während derer das Rathaus und verschiedene Dächer auf öffentlichen Gebäuden mit dem groß sichtbaren Schriftzug versehen wurden NO FLY ZONE (https://t1p.de/b7gp). Auch wenn sie das nahe gelegene China mit seiner Militärmacht, Ansprüchen und Drohgesten gegenüber Taiwan und Japan weitaus mehr fürchten als alles andere, so halten sie doch von den stationierten Militärtruppen nicht besonders viel – was eben auch mit deren aufdringlicher Präsenz zu tun hat.
Überhaupt ist auf Okinawa einiges anders als oben auf der japanischen Hauptinsel Honshu oder gar ganz oben im Norden auf Hokkaido (https://t1p.de/zl22). Einige Aspekte aber sind zumindest ähnlich: der Winter Hokkaidos ist ebenso lang (5 Monate) wie der Sommer Okinawas, es gibt im Gegensatz zu Honshu nur selten Erdbeben und die Straßen sind hier ebenso breit wie auf Hokkaido. Es sind aber nun eindeutig die warmen Temperaturen, die Okinawa weit liebenswürdiger als zum Beispiel Hokkaido erscheinen lassen; subtropische Wälder und Strände wechseln sich hier ab in enger Nachbarschaft und wer die bunte Meereswelt der Südsee bewundern will, sollte das zweitgrößte Aquarium der Welt, Okinawa-Churaumi, aufsuchen. Dies ist eine weiträumige Anlage am Meer, die auch wissenschaftliche Forschungseinrichtungen beherbergt und in der seit vielen Jahren in gesunder Vielfalt unter anderem die größten Fische der Erde (Walhaie) und viele weitere Meeresbewohner (verschiedene Haiarten, Manta- u.a. Rochen, Manatee, Schildkröten, Delfine, Krabben usw.) in riesigen Becken und Aquarien in Nachbarschaft des Ozeans beim Durchlaufen zu bewundern sind. Delfin-Fütterung und Shows wer mag, doch wenn jemand solches in hoher Qualität bewundern will, sollte er besser auf Honshu die Kamogawa-Seaworld aufsuchen, wo auch direkt am Meer beste Freiluft-Vorführungen mit Delfin, Beluga und Orca geboten werden. Geschichte und Kultur Okinawas lassen sich nach meiner Ansicht am besten studieren in Nahas „Prefectural Museum and Art Museum“. Die Ausstellungen demonstrieren, dass diese Inseln im Süden lange Zeit von chinesisch-malaiisch-ozeanischen Einflüssen geprägt worden sind, bevor sie ein Teil Japans wurden und ihre Exponate demonstrieren kulturelle Vielfalt sowie Geschichte.
Am besten natürlich lassen sich Geist und Naturell der Einheimischen ganz persönlich erfahren, wie wir es in einem Izakaya in Ginowan glücklich trafen – in Berlin würde man Kiezkneipe sagen, doch für die Japaner auch auf Okinawa ist das noch etwas mehr, da die Izakaya-Inhaber und Wirte auch lokale Spezialitäten, sehr leckere Speisen und manchmal Karaoke dazu anbieten. Meine Mayu ist ohnehin sehr offen, unterhaltsam und Izakaya-Master wie -Mama und ihre Stammgäste dort waren sehr interessiert, als sie erfuhren, dass ich aus Deutschland kam. Ich solle nur keine Werbung für sie verbreiten, meinten sie interessanterweise, verzichten auch online wie offline auf sämtliche Reklame und hatten zwar nichts gegen ein paar Schnappschüsse, doch extra baten sie uns, keine speziellen Empfehlungen für sie auf Social Media zu posten, da sie doch lieber mit ihren Stammgästen unter sich blieben. Es geht hier sehr familiär zu, selbst kleine Kinder tollen manchmal umher und die Inhaber haben alle Hände voll zu tun, doch finden an unserem letzten Tage noch die Zeit, mit ihren Okinawa-Spezialitäten aus Fisch, Rind, Schwein, Gemüse, Langusten, Soba, Sōmen und besonderen Kartoffeln zu überraschen. Wir haben natürlich Geschenke dabei (eine in ganz Japan anerkannte Geste) und Mayu verabreicht als ein kleines Dankeschön an ihre Gastfreundschaft dem von seiner Arbeit etwas verspannten Izakaya-Master noch eine professionelle, entspannende Massage, bevor wir alle zu einer ihrer beliebten Karaoke-Bars auf gemeinsame Lieder und einen Absacker aufbrechen. Das Gute für Tabak-Aficionados ist, dass in den interessantesten Izakayas und Bars jedermann noch seinem Rauchgenuss frönen kann (selbst wenn natürlich auch auf Okinawa neuerdings offizielles Rauchverbot in allen öffentlichen Häusern, vielen Hotelzimmern und den meisten Speisegaststätten gilt).
Wer von der verhältnismäßig schwierigen Existenz selbstständiger Wirte auf Japan weiß, die manchmal am Rande der Selbstausbeutung arbeiten und doch immer mit ihrer positiven Ausstrahlung köstliche Speisen und Getränke servieren, lernt solche Treffpunkte besonders zu würdigen, die auch immer den Geist des Lokalen widerspiegeln. Vor allem an diesen Orten nämlich erfährt der Wissensdurstige interessante Dinge über Land&Leute, wenn man gut vorbereitet ist (Obacht Reisender – in diesen Kneipen nutzt zumeist niemand irgendeine andere Sprache als Japanisch). Die Nordgegend Okinawas, in der mehr von Festland-Asien und Honshu geprägte Familien leben, nennen sie Yanbaru (eigentlich ein Okinawa-Name;山原 mountain, fields, so aber die japanischen Kanji für den Nordteil), so wie im Prinzip auch die von der Hauptinsel Honshu Zugewanderten bezeichnet werden. Die O’Khinas, die lange zurückreichende Wurzeln auf dieser Insel haben, sprechen ein sehr eigenes japanisches Idiom (selbst Mayu hatte bei manchen Begriffen ihre Schwierigkeiten) und einige beherrschen noch die ältere Sprache Okinawas, die kulturell so gepflegt wird wie zum Beispiel in Deutschland das Sorbisch der slawischen Wenden. Zu Ohren kam mir dieses bei unserem ersten Gesangs-Ausflug, wo die betagte Mama einer kleinen Karaoke-Bar mit anderen Gästen beeindruckende Songs in ihrer alten Sprache untermalt von melancholischer Melodie zum besten gab, die in ihrem Timbre an indigene Südsee-Klänge erinnern. Es heißt, die Leute auf Okinawa seien Nachteulen, da es zu vielen Tagen heiß oder regnerisch sowie immer recht arbeitsam ist und der Geist der Menschen erst nachts zu Freude, Spiel und Gesang erwachen könne. Dann aber mit Verve und Inbrunst und so sind die Stimmen in den traditionellen Karaoke-Bars einfach umwerfend. Als gewisse Eigenheit der Einheimischen bei solchen Gesangsvergnügungen sollte man ihre selbstironisch verspielte Bescheidenheit betrachten, denn ausnahmslos jeder unserer Begleiter verkündete vor seinem Lied, dass er dieses hier zum ersten Mal singe – um gleich darauf eine brillante Gesangsvorstellung abzuliefern, bei der Tonhöhe und Melodie auf den Punkt getroffen werden.
Fast alle Häuser sind an Eingängen, auf Dächern und Vorsprüngen mit Shīsā-Figuren (シーサー) geschmückt, das sind Schutzgeister, die einer pantheistischen Tradition entstammen, wie man sie vergleichbar an den verschiedensten Orten Südostasiens bis Mikronesien finden kann. Einzeln oder als Paar behüten sie im Glauben der Einwohner das Wohl des Hauses und halten das Böse fern. Okinawa ist nicht nur geografisch, sondern auch mit seiner kulturellen Historie noch weiter von Honshu entfernt als das von den früheren Ainu geprägte Hokkaido; alte Ortsnamen Okinawas wie Naha, Nago, Motenbu oder Futenma sind so wenig japanisch, wie Gehabe und Kultur vieler Einwohner. Die O’Khinas sind politisch nicht von großen Träumen und Erwartungen erfüllt, sehr viel halten sie wohl auch nicht von ihren Lokalpolitikern und Behörden, deren dumme Nachlässigkeit beim Brandschutz sie vermutlich eines besonderen Kleinodes und Touristenmagnetes beraubte (Burg Shuri https://t1p.de/zcc9) und sie bevorzugen meist touristischen und ökonomischen Austausch mit ihren Nachbarn. Schlussendlich ist Okinawa eine sehr eigentümliche und bezaubernde Insel in den Subtropen, die wir weiterhin regelmäßig besuchen werden.




























